Ameisen auf einer Mohnkapsel

State of the Ant

Kurzer Disclaimer: Es gibt ziemlich viele Ameisen und geschätzt um die 10.000 Spezies! Bei uns in Deutschland leben aufgrund des vergleichsweise kühlen Klimas zwar nur etwas über 100 verschiedene Ameisenarten. Die sind für den Laien dafür kaum auseinanderzuhalten. Ich hab meine im Garten angetroffenen Mitbewohner lediglich nach Augenschein „im Feld“ bestimmt. (also ohne Binokular und vertiefende Kenntnisse), kann daher keine Gewähr für die korrekte Benennung übernehmen. Allerdings: Alle drei Arten gehören zu den häufigsten Ameisenvertreten in ganz Mitteleuropa – oder sagen wir sicherheitshalber: Sie könnten es jedenfalls sein. Die Wahrscheinlichkeit spricht dafür.

Eine junge Königin der Schwarze Wegameise (Lasius niger) vor dem Hochzeitsflug

Naturschauspiel auf Pflastersteinen

Im Sommer waren wir Trauzeuge beim Hochzeitsflug der schwarzgrauen Wegameisen – dem vielleicht verkanntesten Naturevent in unseren Breiten. Bis zu 1000 geflügelte Ameisenmänner und 200 Prinzessinnen pro Volk schwärmen aus, um sich zu paaren und das genetische Material ihrer Art neu zu mischen. Die geflügelten Jungköniginnen sind einiges größer als die Männchen, im hellen Sonnenlicht schillern ihre Flügel metallisch wie ein funkelndes Ballkleid, und bis zum Abflug werden sie von ihren unfruchtbaren, flügellosen Schwestern liebevoll umsorgt. Wenige werden ihr Ziel erreichen: Einmal im Leben Sex, um dann jahrzehntelang als Königin eines eigenen Ameisenstaates Eier legen. In Gefangenschaft wurden Lasius niger – Königinnen bis zu 28 Jahre alt! Das Sperma aus diesem einen Hochzeitsflug bewahren sie in all der Zeit in einer extra dafür vorgesehen Tasche. Die Männchen sterben bald nach der Hochzeit. In der Ameisenwelt sind sie bloß ein lebender Spermien-Lieferdienst.

Größenvergleich: eine Arbeiterin der Schwarze Wegameise Lasius niger, eine Jungkönigin und einige „Prinzen“ vor dem Hochzeitsflug.

Die junge Königin entledigt sich ihrer Flügel, sucht einen Nistplatz und beginnt mit dem Eierlegen. Manchmal tun sich auch mehrere Königinnen zusammen – später erkämpft sich dann aber meist ein Weibchen das alleinige Privileg der Eiablage. Sobald die ersten neu geschlüpften Arbeiterinnen arbeitsfähig sind, bleibt diese Aufgabe die einzige der ehemals schillernden Braut: Eiproduktion bis zum Lebensende. Mehrere Millionen Samenpakete hält sie vor, mit denen sie theoretisch mehr Nachkommen produzieren kann, als Frankreich und Deutschland gemeinsam an menschlichen Einwohnern haben. Während einige Menschenmütter sich bei der Reduktion auf die Babypflege das vorübergehende Verkümmern ihrer kognitiven Fähigkeiten nur einbilden, wird das Gehirn der Ameisenkönigin in dieser Lebensphase tatsächlich auf das Nötigste abgebaut. Zu sagen hat sie in ihrem bis zu 14.000 Tiere umfassenden Staat sowieso nichts. Ihre Arbeiterinnen dagegen durchlaufen verschiedene Jobs und Entwicklungsstufen – und kommen spätestens im Außendienst viel weiter herum als ihre „Königin“. Die gesammelten Erfahrungen speichern sie in einem wachsenden Gehirn. Theoretisch können Arbeiterinnen der grauschwarzen Wegameise 15 Jahre alt werden – praktisch ist ein Ameisenleben allerdings recht gefährlich.

Die Arbeiterin betüdelt ihre Blattlauskühe. Sollten selbige allerdings Fluchtgedanken hegen, wird die Beschützerin ungemütlich.

Hirtinnen der Honigkühe

Um so viele Familienmitglieder zu ernähren, halten Ameisen häufig Nutzvieh. Blattläuse ernähren sich direkt vom süßen Pflanzensaft, der zwar reich an Zucker, aber arm an anderen Nährstoffen, etwa Proteinen ist. Sie müssen deshalb viel davon saugen, die verfügbaren Nährstoffe herausfiltern und den Rest als süßen Honigtau wieder ausscheiden. Damit sind sie als „Honigkühe“ prädestiniert. Die Herde wird beschützt, gelegentlich sogar mit Erdkrumen „überbaut“ , man spricht dann von Blattlausställen. Ab und an stutzen die Bäuerinnen ihrem Vieh aber auch die Flügel, um sie an die Scholle zu binden -auch durch die Abgabe chemischer Substanzen.

Wer Kühe hält, muss raus zum Melken: Arbeiterin bei der Blattlauspflege.

Und wer weiß, ob nicht auch mal die ein oder andere Laus gefressen wird – denn der Honigtau, den die Blattläuse ausscheiden ist zwar voller Zucker, aber – wie so oft bei süßer Brause – ziemlich nährstoffarm. Neben dem Honigtau stehen deshalb auch Insekten auf dem Speiseplan. Und alles mögliche andere, wie jeder weiß, der schon mal sein Picknick mit einer Ameisen- Patrouille teilen musste. In New York haben Wissenschaftler einmal berechnet, das Insekten und andere Gliederfüßer allein im Mittelstreifen von Broadway und West Street mehr als 900 Kilogramm weggeworfenes Junk-Food pro Jahr wegschaffen – das wären etwa 60.000 Hot Dogs. Da der Mittelstreifen kein Hort der Artenvielfalt ist, geht diese Fressleistung zum größten Teil auf eine verbreitete Ameisenart zurück.

Seuchenschutz in der Megacity

Ansonsten interessieren sich Forscher unter anderem dafür, wie Ameisen in ihren Megacities (Ameisenbauten in wärmeren Gegenden werden 8 Meter tief und umfassen mehrere Millionen Tiere) eigentlich die Ausbreitung von Krankheiten verhindern. Die bisherigen Erkenntnisse deuten darauf hin, dass unsere während der Corona-Pandemie empirisch erforschten Maßnahmen zur Infektionseindämmung auch bei den Ameisen erfolgreich eingesetzt werden: Seit 100 Millionen Jahren!

Grundsätzlich gibt es Hygienerituale, um die ständige Infektionsgefahr einzudämmen: Arbeiterinnen am Eingang putzen heimkehrende Schwestern gründlich. Durch den Kontakt mit kleinen Mengen verschiedener Viren, Bakterien und Pilzsporen stellt sich ihr Immunsystem dabei bereits auf die Bekämpfung der entsprechenden Erreger ein- wie bei einer Impfung mit lebendem Impfstoff. Eine kranke Arbeiterin gibt ein Warnsignal ab – in Form einer chemischen Markierung auf ihrem Außenskelett. Sie hält sich ab sofort von der Brutkammer fern. Als Reaktion auf Krankheitssignale hat auch die Königin nur noch Kontakt zu besonders geschützten Mitgliedern ihres Hofstaates. Die kranke Ameise wird zunächst von Pflegerinnen behandelt – mit besonders intensiven Putzeinheiten und auch Medikamenten. Einige ihrer Antibiotika werden bereits auf ihre Tauglichkeit als Menschen-Medikamente untersucht. Gegen Pilze setzen einige Ameisenarten erfolgreich Wasserstoffperoxid ein – und das muss genau dosiert werden.

Hilft das nicht, verlässt die Arbeiterin ihr Nest, häufig selbstständig, sucht einen Platz abseits der Futterplätze und wartet dort auf ihren Tod.

Die gelbe Wiesenameise (Lasius flavus) bringt Puppen in Sicherheit. Die schwarzen Flecken sind Exkremente, die später mit der Puppenhülle entsorgt werden. Als Larve kotet der Nachwuchs nicht, um das Nest nicht zu beschmutzen – erst im Kokon darf in die „Windel“ gemacht werden.

Säureattacken oder Giftstachel?

Verwandte der schwarzen Wegameise leben ein besonders unterirdisches Leben: Die gelbe Wiesenameise Lasius flavus hält Wurzelläuse, die unter der Grasnarbe an Pflanzen saugen. Die Ameisen schützen ihre Haustiere und treiben sie zu neuen Weidegründen, wenn die Pflanze aus irgendwelchen Gründen schwächelt. Wie auch bei Lasius niger haben die Wiesenameisen keinen Stachel, sondern eine Säurepore am Hinterleib, mit der sie Ameisensäure versprühen können. Wegameisen gehören zu den Schuppenameisen – der einzige Gruppe, die Ameisensäure in ihrem Abwehrgift nutzt. Diese effektive Waffe erlaubte die Rückbildung des Stachels.

Rotgelbe Knotenameise (Myrmica rubra) auf einem Eisstiel. Wir finden die nur die Essenreste so schnell? Sie setzen „Chemtrails“ zur Futtersuche ein! Ausgeschwärmte Arbeiterinnen legen eine Duftspur mit Pheromonen bis zur Fundstelle. Dabei reicht 1 Billionstel Gramm (0,000000000001g) pro Markierung. Mit einem Gramm Pheromon könnte man die Strecke von der Erde bis zum Jupiter ausschildern! Ameisen sehen relativ schlecht – sie orientieren sich mit dem Geruchssinn, mit dem sie nicht nur ihre Schwestern, sondern auch deren Beruf, Alter und viele weitere Informationen erkennen – und die Wegweiser zur Futterquelle.
Diese Daten stammen – wie einige andere Infos zu Ameisen aus „Weltmacht auf sechs Beinen“ von Susanne Foitzik und Olaf Fritsche. Das Buch gibt nicht nur unterhaltsam Einblick in das Leben der Ameisen auf der ganzen Welt – sondern auch in die Arbeit von Ameisenforschern.

Die dritte Gruppe von Mitbewohnern gehört zu den Knotenameisen. (Die Namen beziehen sich auf die Verbindung zwischen dem Hinterleib und der Brust): Die Rote Gartenameise (Myrmica rubra).
Knotenameisen stechen mit einem Stachel und injizieren ausgeklügelte Giftmischungen.

Blattschneiderameisen – nicht in meinem Garten, sondern im Microopia in Amsterdam

Verwandte aus der gleichen Gruppe (Knotenameisen) betreiben besonders eindrucksvolle Agrarwirtschaft: Blattschneiderameisen der tropischen Wälder Südamerikas halten sich Pilzkolonien, die sie mit dem geschnittenen (und vorgekauten) Blattgrün füttern. Eine solche Kolonie ist eine der Attraktionen im Mikrobenmuseum in Amsterdam, daher die Bilder. Im Vergleich zu den Ameisenvölkern der Subtropen und Tropen erscheinen unsere Gartenmitbewohner wehr- und harmlos. Solange sie nicht die häuslichen Vorratsschränke entern, gibt es keinen Grund ihnen nachzustellen. Mögen ihre von mir unbehelligten Kolonien in meinem Garten andere Ameisen-Liebhaber locken, wie den Grünsprecht.

Großer Ameisenfan: Ein Grünspecht. Ameisen und ihre Nester sind für andere Gartenbewohner wichtiges Futter.

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