Chemiestunde im Nachtgarten

Manchmal bin ich gar nicht im Garten, sondern faul auf dem Sofa, und dann klopft die Natur vor der Terrassentür quasi an und fragt, ob ich nicht lieber rauskommen will zum spielen. In der zweiten Junihälfte lag ich kurz vor Mitternacht kränkelnd vor der Flimmerkiste, als einer meiner liebsten Gartenbewohner mich buchstäblich anblinkte: Ein Glühwürmchen!

Kleines Glühwürmchen (Lamprohiza splendidula) – hier ein Weibchen.

Ich schrieb schon mal über das Leben dieser faszinierenden Käfer und ihrem Potenzial als PR-Helfer für naturnahe Gartengestaltung. (Klick rein wenn Du nicht weißt, ob Glühwürmchen stechen und wo die eigentlich den ganzen Rest des Jahres stecken.) 

Vernünftige Fotos von ihnen zu bekommen ist irgendwie schwierig. Meist jagt man einen grünen LED-Irrlicht hinterher, bis es plötzlich verlischt. Dann steht man irgendwo im Dunkeln und guckt dumm. Oder man versucht ohne künstliches Licht auf ein grünleuchtendes, winziges Objekt scharf zu stellen, weil mit Kamerabeleuchtung sieht das Leuchten auf dem Foto ärmlich aus. 



Kleines Glühwürmchen Lamprohiza splendidula
Kleines Glühwürmchen (Lamphoriza splendidula) – nach der Paarung verstorben – präsentiert hier seine Lecuhtorgane. Sieht ein wenig aus wie Darth Vader, oder? Der hatte allerdings ein rotes Lichtschwert, kein grünes.

Dieser Glühwurmmann ruhte sich an der Wohnzimmerscheibe aus und ließ sich dort leicht einfangen, um dem Kind im verdunkelten Kinderzimmer vorgeführt zu werden. Auf die Frage, wie das Leuchten zu Stande käme, war ich top vorbereitet, die wurde aber gar nicht gestellt. Das Kind ist schließlich täglich von LEDs in allen Farben, phosphoreszierenden Plastiksternen und Gummitieren umgeben. Dafür wunderten wir uns alsbald, wie das Käferchen eigentlich von hell leuchtend einfach so ausschalten kann? Und wieder an? Und dann in den blinkenden Modus… Die Verbindung zur Batterie kappen funktioniert ja nicht, oder? Wie steuert der also die Laterne in seinem Hinterleib?

Das Kind ging schlafen, und ich fand eine Antwort:

Phosphoreszenz im Gummisalamander- im Kinderzimmer leuchtet es auch ohne Käfer. Bei Phosphoreszenz regt UV Licht die verwendeten Kristalle an, die dann zeitverzögert diese Energie in Form des Nachleuchtens abgeben.

Glühwürmchen brauchen zum Leuchten einen Stoff namens Luciferin. Und ein passendes Enzym namens Luciferase. Zusammen mit dem zellulären Energieträger ATP versetzt es Luciferin in einen angeregten Zustand. Dabei wird eine Elektron auf ein höheres Energieniveau „geschubst“, es fühlt sich da aber nicht wohl und fällt ganz schnell zurück. Sowas passiert oft bei biochemischen Reaktionen, aber normalerweise wird in solchen Fällen einfach ein bißchen Wärme frei- das kriegt keiner mit. In diesem Fall (und immer wenn Biolumineszenz erscheint), gibt es aber keine Möglichkeit, die Energie als Wärme abzugeben, statt dessen wird ein einzelnes Photon freigesetzt – und erzeugt dabei einen sichtbaren Lichtblitz. 



So sieht Glühwürmchen-Luciferin aus. Am „rechten Ende“ wird AMP (ein Teil des ATP) angehängt, das entstehende Zwischenprodukt ist instabil. Molekularer Sauerstoff führt zur Abspaltung von AMP und CO2, dabei wird Licht frei. Das Luciferinmolekül ist dann oxidiert und muss recycelt werden.

Dieser Leuchtkäfer-Mann geriet in ein Spinnennetzt – leuchtete aber unverdrossen weiter.

Lichtschalter für Leuchtkäfer


Und wie funktioniert jetzt der Schalter, mit dem der Käfer seine Biochemie so sekundengenau steuern kann? Für die Lichtreaktion wird Sauerstoff benötigt. Der kommt aus den Mitochondrien, also den Zellkraftwerken, die auch den Energieträger ATP herstellen. Dabei verbrauchen sie aber selbst viel Sauerstoff, so dass keiner für die Lusiferase-Reaktion übrig bleibt. Der Käfer muss also paradoxerweise seine Zellkraftwerke abschalten, wenn er leuchten will. Das funktioniert mit einem kleinen Signalmolekül, Stickstoffmonoxid (NO). Die Leuchtzellen bilden es als Reaktion auf einen Nervenimpuls. Heißt, wenn der Käfer denkt: „Ich glaub ich seh ne Braut!“, wird die Energiegewinnung kurz angehalten und Sauerstoff wird frei, um das Luciferin zu oxidieren – und dabei Energie in Form von Licht freizusetzen. Klingt kompliziert – ist es auch. Was ein Aufwand!

Männliches Glühwürmchen an der Fensterscheibe.

Luciferin selbst ist übrigens ein tolles Molekül, es hält sich auch in getrockneter Form. (Man kann tatsächlich gemörsertes Leuchtkäferpulver kaufen). Weil es für jeden Lichtblitz genau ein ATP-Teilchen verbraucht, kann man mit der Lichtstärke der Luciferin-Reaktion die ATP-Konzentration bestimmen. Da man ungefähr weiß, wieviel ATP beispielsweise in einer Bakterienzelle ist, kann man so messen, wie hoch die Bakterienzahl in einer Probe ist. Luciferin wird auch als Bio-Marker benutzt. Man baut dann das Gen für eine Luciferase in einen Organismus ein und gibt das passende Luciferin (es gibt verschiedene, inzwischen auch angepasste) hinzu. So kann man beispielsweise Tumorzellen markieren. Glücklicherweise wird Luciferin inzwischen auch synthetisch hergestellt. Es müssen also keine Leuchtkäfer für die Grundlagenforschung sterben. Statt dessen dürfen sie weiter drei Jahre lang als Larven meine Schnecken fressen und mich dann an einem Sommerabend in den Garten locken.

Glühwürmchen, von außen an der Terassentür. Schau‘ ihm in die Augen!

Zum Nach – und Weiterlesen:
http://www.chemie.uni-jena.de/institute/oc/weiss/lumineszenz.htm
https://www.chemieunterricht.de/dc2//tip/08_13.htm

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