Kürzlich war ich mal wieder im Gartencenter. Man könnte meinen, das sei für Naturfreunde ein inspirierender, schöner Ort, so wie eine große Buchhandlung für Lesende. Und wieder besseren Wissens betrete ich die ausladenden Geschäftsräume jedes Mal mit freudiger Grunderwartung. Vielleicht finde ich etwas hübsches, spannendes – oder wenigstens eine gute Idee. Die ersten Meter versuche ich tapfer all die Scheußlichkeiten zu ignorieren, die man mir in den Laufweg gerümpelt hat, monströse Spritzguss-Tiere mit solarbetriebenen Glubschaugen, musizierende Metallfrösche in Hasengröße, grinsende Lämmchen, die von handtellergroßen Marienkäfer Trittsteinen umsäumt werden und dergleichen mehr. Aber meine Hornhaut erlahmt irgendwann, und spätestens wenn ich dann zwischen dem mit Glitzerspray gefärbten Heidekraut und mit Kunstblüten malträtierten Kakteen stehe, tränen mir die Augen.
Anwerben statt einkaufen
Und dann die Pflanzen. Immer die gleichen. Und obwohl es doch zweifelsohne einen Trend zu naturnäheren Gärten gibt, ist es schwer, etwas Heimisches zu finden. Wirklich schwer. Selbst einen ordinären Fingerhut gibt es nur als Zuchtform. Wenn ich mir also etwas Spezielles in den Kopf gesetzt habe, muss ich mal wieder im „bösen Internet“ bestellen. Umso mehr freue ich mich über alle, die freiwillig in meinen Garten kommen. Dafür muss man ihnen eigentlich nur ein bisschen Platz lassen, zum Beispiel den Rand des gemähten Rasens. Hier also meine wildesten Mitbewohner, alle ganz kostenlos und ohne meine Mitarbeit eingewandert!
Neben bescheidenen Schönheiten wachsen auch imposante Einwanderer in meinem Garten: Sie werden in 12 Monaten größer als ich in über 40 Jahren. Dafür beträgt ihre Lebenserwartung nur 2 Jahre. Einige meiner Mitbewohner wachsen zu stattlichen Hinguckern heran:
Gewöhnliche Kratzdistel (Cirsium vulgare)
Angeblich warnte diese Distel schlafende schottische Krieger vor einem Wikingerüberfall, weil einer der Angreifer auf eine Distel trat und laut aufheulte. Darum ist die Kratzdistel die Nationalblume Schottlands. Wie es sich mit dem Wahrheitsgehalt dieser Geschichte verhält, weiß ich nicht, wahr ist aber, dass sie mich deshalb an eine wunderbare Schottlandreise vor langer Zeit erinnert. Außerdem ist sie die Kinderstube des hübschen Distelfalters (Vanessa cardui) und ernährt die quirligen Stieglitze (Carduelis carduelis) mit ihren Samen. Das reicht für eine Aufenthaltserlaubnis, trotz ihres kratzbürstigen Charakters.
Diese „Kerze“ macht ihrem Namen alle Ehre, blüht sie doch erst in der Dämmerung mit gelber „Flamme“ auf. Und zwar so schnell wie keine andere mitteleuropäische Pflanze, innerhalb weniger Minuten. Man kann also beim Feierabendbier an einem lauen Sommerabend dabei zusehen. Anschließend wird sie von Nachtfaltern „umschwärmt“ und zügig bestäubt. Erst wenn die Pollen „geerntet” sind, streckt sich der Griffel und die Narbe wird zugänglich – und dann gibt es auch Nektar als Belohnung. Am Mittag des nächsten Tages ist die Blüte schon wieder verwelkt – aber es kommen abends neue nach. Verschiedene Schwärmerraupen fressen die Blätter. Wir könnten die Wurzel essen, wenn wir sie vor der Blüte ausgrüben – aber wer will das schon? Gelegentlich wird Oenothera sogar kommerziell angebaut, um das teure Nachtkerzenöl zu gewinnen und in Hautcremes zu verwenden.
Kleinblütige Königskerze
„Flannelleaf“ ist der Englische Name dieser majestätischen Pflanze. Und das passt ja mal: flauschige Flanellblätter bilden die Basis für das blühende Zepter der Königskerze. Bis zu 1000 Blüten pro Pflanze, die bis zu 700.000 Samen hervorbringen! Fleißig. Als kuscheliges Versteck bietet ihre Blattrosette verschiedenen Insekten Schutz. Beispielsweise diesem ebenfalls recht pelzigen Rüsselkäfer.
Kreuzblättrige Wolfsmilch (Euphorbia lathyris)
Gut, sie bleibt etwas kleiner als ich. Dafür ist sie eine sagenumwobene Hexentrank-Zutat. Tatsächlich sind die Pflanzenteile giftig. Die Samenkapseln sind Springfrüchte und können bei Austrocknung drei Meter weit geschleudert werden. Die Samen enthalten 40-50 % Öl, der Milchsaft zusätzlich 8-12 % Kohlenwasserstoffe (Terpene) alles enrergiereiche Verbindungen. Vor einigen Jahren gab es Forschungen, ob die Wolfsmilch als Benzinpflanze genutzt werden könnte – davon hört man aber derzeit nicht mehr so viel.
Invasiv und giftig steht sie bereits auf der Beobachtungsliste der Naturschützer. Die Vögel mögen sie aber. Ich bin ja nicht fremdenfeindlich, und die Stelle im Beet war noch kahl – ich habe ihr also einstweilen erlaubt zu wachsen.
Klein, aber niedlich- die Hübschen wachsen oft unspektakulär vor sich hin – um schließlich eine stilvolle, unaufdringliche Blüte zu zeigen.
Samen des Horn-Sauerklees
Acker-Gauchheil Mauerlattich Vogelmiere Spitzwegerich
Der Spross des Mauerlattich (Mycelis muralis) wirkt geradezu grazil, die vielen gelben Blüten scheinen auf der verzweigten Struktur zu schweben und erheben sich 70 Zentimeter über dem bevorzugten steinigen Grund. Die Vogelmiere (Stellaria media) dagegen kriecht am Boden und hebt nur ihre weißen Blüten zum Licht. Man kann sie im Salat essen, genau wie den Spitzwegerich (Plantago lanceolata). Dieser ist ein Beispiel für eine in Europa heimische Pflanzen, die sich von hier aus über die ganze Welt verbreitet hat. Zerriebene Spitzwegerich-Blätter sollen bie Insektenstichen helfen.
Auch die folgenden Mitbewohner brauchten keine gesonderte Einladung und genießen jetzt Asyl aus ästhetischen Gründen.
Hasenglöckchen Schöllkraut Zaunwinde Hunds-Rose Pfirsichblättrige Glockenblume Schafgarbe
Efeu Wolfsmilch
Um noch einmal in den Gartenmarkt zurück zu kommen: Im Kassenbereich zeigte sich dann viele regalmeterbreit, dass der Trend zu naturnahen Gärten auch im Gartenbaumarkt ankommt. Es gab eine aberwitzige Zahl von Vogelhäusern, Futterhäusern, Igel- Hummel und Schmetterlingsunterkünften usw. Das allermeiste war unbrauchbarer Schrott zu unglaublichen Preisen. Offenbar sind einige Menschen eher gewillt, einen Sperrholzkasten mit verzinktem Dach für 35 Euro im Garten zu platzieren als mal ein Mäuseloch, einen Reisighaufen oder einen vermodernden Baumstumpf liegen zu lassen. Als könne man beliebten Mitbewohnern wie Igel und Eichhörnchen einfach ein Häuschen kaufen – und dann im Nebenregal noch eine Großpackung Schneckenkorn und eine Flasche Round-up mitnehmen. Und natürlich Dauerbeleuchtung in allen Farben, Unkrautfließ und Geröll für den Vorgarten, da kann man ja dann ein paar wetterfeste Kunststofftiere draufsetzen. Gartencenter sind ganz offensichtlich kein guter Ort für Naturfreunde. Eher so eine Art Geisterbahn.