Das Leibnitz-Zentrum für Agrarlandschaftsforschung (ZALF) hat uns ganz offiziell zu Mückenforschern ernannt. Naja, eigentlich Ida, weil Urkunden für die Mitarbeit am „Mückenatlas“, einem Citizen- Science-Projekt des ZALF nur für Kinder vorgesehen sind. Jedenfalls wurden im Rahmen dieses Projektes zur Mückenkartierung drei meiner Gartenmitbewohner von echten Mückenforschern bestimmt. Und – obwohl sie für mich alle irgendwie sehr ähnlich aussahen – es sind drei verschiedene Arten!
Die Wissenschaftler loben in ihrem überraschend ausführlichem und persönlichen Brief an die junge Mückenforscherin zunächst die Tatsache, dass wir tatsächlich nur die geforderten Stechmücken eingeschickt haben und berichten, andere Hobbyforscher hätten sogar Käfer oder Spinnen eingesendet. Darüber musste selbst Ida lachen, die sich bisher nicht durch besondere Artenkenntnis hervorgetan hat.
Massenware
Mücken sollte ja eigentlich jeder kennen. Aber dass es in Deutschland über 50 verschiedene Arten von Stechmücken gibt, fand ich dann doch bemerkenswert. Für den Laien und mit bloßem Auge sind sie kaum zu unterscheiden. Umso interessanter, dass die drei identifizierten Mückenmitbewohner unseres Gartens ganz unterschiedliche Kinderstuben bevorzugen:
Die „typische“ Hausmücke (Culex pipiens) legt ihre Eier in jedes Gefäß, indem etwas Wasser steht, also Regentonnen oder unsere Vogeltränke. Im Ferienhaus ließen wir das Wasser der Regentonne einmal ab, weil sich tausende Mückenlarven darin kringelten – und wir bei aller Liebe für die großartige Natur um das Häuschen ein wenig von unserem Blut für uns selbst behalten wollten. Bei unserer Abfahrt war schon die nächste Mückengeneration geschlüpft – und konnte sich in Abwesenheit von menschlichen Bewohnern unbehelligt zu 1a Vogel- und Fledermausfutter entwickeln.
Ein weiterer Gartenbewohner (Aedes vexans) legt die Eier an Plätze, die regelmäßig überschwemmt werden. Diese Art wird auch als Auwaldmücke bezeichnet. Das brachte mich schon ins Grübeln, denn eigentlich haben wir keine Schwemmwasserzone. Dieser Sommer war allerdings geeignet, in den weniger sonnigen Gartenbereichen über Tage kleine Matsch-Reservoires zu ermöglichen. Aedes vexans kann massenhaft auftreten und kommt in der ganzen Welt vor.
Die dritte identifizierte Mückenart (Aedes geniculatus) brütet in nassen Baumhöhlen. Weiß der Geier, wo sie die hier finden.
Wer Mücken liebt
Auf den derzeit recht üppigen Naturthementischen der Buchladenketten liegt gelegentlich ein Produkt mit dem launigen Titel „Was hat die Mücke je für uns getan?“ Ich habe es nicht gelesen, weiß aber ungefähr was mich erwartet, nämlich eine betont populärwissenschaftliche Einführung in die Ökologie. Der Titel spielt auf das fundamentale Missverständnis an, die Daseinsberechtigung aller Lebensformen habe sich am konkreten Nutzen für die Menschheit zu messen. So sind Kategorien wie „Unkraut“ und „Schadinsekt“ ja erst entstanden.
Mücken sind nervig, schlimmstenfalls übertragen sie Krankheiten. Auch in Deutschland wird diskutiert, ob man ihr Erbgut verändern darf, um sie loszuwerden. Die Idee: Mit Hilfe neuer gentechnischer Methoden soll ein sogenannter Gene drive ausgelöst werden, bei dem sich bestimmte Gene innerhalb einer Population selbständig ausbreiten und beispielsweise die Malaria-Mücke ausrotten. Klingt erst mal verlockend. ABER: Auch ohne besondere Kenntnis der Mückenökologie sollte klar sein, dass Mücken mit ihrer schieren Masse eine wichtige Funktion im Ökosystem haben. Ihre Larven sind Futter für den Nachwuchs von Molchen, Libellen und Fischen. Im Naturkundemuseum der Stadt Helsinki kann man sehr anschaulich sehen, wieviele Mücken eine einzige Zwergfledermaus in nur einer Sommersaison vertilgt: eine Viertelmillionen nämlich. In eine Glasröhre mit dem Durchmesser einer Faust gestapelt überragte die entsprechende Zahl an Mückenleichen locker meine Körpergröße. Ein Schwalbenpaar benötigt für die Aufzucht einer Brut etwa 12.ooo Insekten, sehr viele davon sind – Mücken!
Buchtipp
Tyrolia-Verlag, Innsbruck–Wien, 4. Aufl. 2015
ISBN 978-3-7022-3367-9
Wer mehr über Mücken lernen möchte, kann das niederschwellig in dem zu recht mit dem Deutschen Jugendliteraturpreis ausgezeichneten Kinderbuch „Gerda Gelse“ tun: Dort erfährt man, dass der feine Mückensaugrüssel in Wahrheit aus mehreren Stechborsten besteht und Mücken mit etwa 2,5 km/h Fluggeschwindigkeit eher langsam unterwegs sind. Der Lebenszyklus einschließlich der riskanten Beschaffung essentieller Babynahrung aus einem Säugetierkörper, die vierfache Häutung und anderen Details aus dem Mückenleben sind dabei so phantasievoll wie ästhetisch illustriert. Anschließend kann man sich nach der ausführlichen Anleitung zum Fang auf Probensuche für den Mückenatlas begeben und sich auf eine ausführliche Erläuterung zu den eigenen stechenden Mitbewohnern freuen. Über die besondere Bedeutung des enervierenden Fluggeräusches habe ich schon einmal geschrieben: Es geht unter anderem um Sex.
Große Pechlibelle (Ischnura elegans) Frühe Adonislibelle (Pyrrhosoma nymphula)
Schwalben, Kröten, Molche, Libellen und Fledermäuse sind in meinem Garten stetige und gern gesehene Gäste. Beim nächsten Mückenstich werde ich einfach daran denken, dass mein Blutopfer ihnen die Babynahrung für kommende Generationen sichert. Es sei denn, ich erwische die werdende Mückenmama VOR dem Stich. Dann endet ihre Vererbungslinie. Schlagartig.