Wehrhafter Sozialstaat

Ich schrieb ja schon einmal über mein ambivalentes Verhältnis zur Kinderserie Biene Maja. Auf ein noch größeres Ärgernis in Bezug auf die berühmteste Biene Deutschlands musste mich erst Michael Ohl in seinem Buch „Stachel und Staat“ aufmerksam machen: Die „neue“ Maja, animiert für Vorschulkinder, hat keinen Stachel! Waffen sind offenbar so unsympathisch, dass man sie kleineren Kindern lieber gar nicht zumuten will, selbst wenn man sich damit von jedem Bildungsauftrag verabschiedet und ins süßliche Reich kindischer Verdummung hinabgleitet. (Und noch eine weitere Frechheit haben die Serienmacher sich herausgenommen: Maja hat in der Serie nämlich nur 4 Beine. Sie ist also eigentlich gar kein Insekt.)

Apis mellifera – die Honigbiene

Evolutionsbiologen halten fest: Ohne Stachel keine Honigbienen. Der Stachel und sein schmerzhaftes Gift sind die unverzichtbare Basis für die Entstehung arbeitsteiliger Insektenstaaten mit tausenden Individuen. Wehrhaftigkeit ist die Voraussetzung für das Überleben sozialer Gesellschaften. (Augenscheinlich muss man diese Erkenntnis aus der Insektenwelt auch auf menschliche Gesellschaften übertragen, aber der Scheint trügt ja manchmal. Hoffentlich.)

Ohne Gift kein Honig

Schlupfwespe (Pimplinae spec) mit beeindruckendem „Stachel“

Es ist einleuchtend, dass ein großes Insektennest voller wehrloser Larven und – im Falle der Bienen – ihres mindestens ebenso verlockenden Proviants die Begehrlichkeiten großer Räuber weckt – von der Maus bis hin zum Bären. Justin O. Schmidt erklärt in seinem Buch „The Sting of the wild“ anschaulich, warum soziale Hautflügler eine viel stärkere Verteidigung brauchen als Einzelkämpfer: Eine einzelne Blaubeere ist für die meisten größeren Fressfeinde keinen Aufwand wert – eine Schüssel Blaubeeren aber vielleicht schon. Der Stachel als Waffe ging aus einem „Legestachel“ hervor, der hauptsächlich dazu diente, Eier an einem geeignet Platz abzulegen, zum Beispiel unter die Rinde eines Baumes – oder in die Brut eines anderen Insektes. Die heutigen Schlupfwespen (Ichneumon) haben solche „Stachel“ die eigentlich Ovipositor (also Eiableger) heißen. Sie sehen respekteinflößend aus- taugen aber nicht für Abwehrstiche.

Ophion obscuratus, Schlupfwespe. Die Legeröhren dieser Gattung sind auch als Wehrstachel einsetzbar. Sie kann also tatsächlich stechen, wenn sie bedroht wird.

Der autonome Stachel

Der Abwehrstachel der Stechimmen (Aeculata) dagegen ist ein Präzisionswerkzeug, und keineswegs eine einfache „Injektionsnadel“, wie man denken könnte. Drei lanzettförmige Elemente mit der Fähigkeit, sich selbst in die Haut des Opfers zu fräsen, bilden die Speerspitze, daran hängt ein System mit Giftblase und passenden Muskeln. Nach dem Stich muss sofort eine wirksame Dosis Gift in den Kanal gedrückt werden – sonst gelingt es dem „Angreifer“ womöglich, seinen Verteidiger rechtzeitig abzustreifen oder zu töten. Honigbienen sind bekannt dafür, ihr Volk auch mit dem eigenen Leben zu beschützen: Ihr Stachel bleibt mit Widerhaken in der Haut des Opfers zurück und reißt eine tödliche Verwundung in den Hinterleib der flüchtenden Biene. (Die allerdings noch Stunden oder Tage weiterleben kann). Neben dem Stachel hinterlässt die sterbende Kämpferin eine kleine Giftpumpe mit gefüllter Giftblase, Muskelring und kleinem Nervenknoten an der Einstichstelle, so dass die Einheit ihre Aufgabe auch nach der Trennung vom Bienenkörper beenden kann. Man spricht dabei von Stachelautonomie. Knapp 150 Mikrogramm Gift pumpt der Stachelapparat innerhalb der ersten 20 Sekunden nach dem Stich in die Wunde. Wer also erst nach Minuten damit beginnt, den Stachel zu entfernen, erreicht kann damit keine Schmerzlinderung mehr.

Wer kann stechen?

Die in unseren Gärten fliegenden Hornissen, Hummeln und Wespen haben das Feature „Stachelautonomie“ nicht – sie können daher mehrmals zuschlagen. Oder könnten. Hummeln, ebenfalls soziale Bienen, stechen nur selten. Wespen und Hornissen verteidigen sich und ihre Nester mit schmerzhaften Stichen. Allerdings nur die Weibchen! Drohnen haben keinen Stachel – der ist ja schließlich mal aus einem „Eierlege-Apparat“ hervorgegangen. Vielleicht kann man männliche Bienen deshalb so schwer von ihren Schwestern unterscheiden: Sie möchten lieber aussehen, wie eine wehrhafte Kriegerin als wie der harmloser Samenspender, der sie sind. Um männliche Stechimmen sicher zu identifizieren, gibt der erwähnte Michael Ohl seinen Studenten immer den ultimativen Tipp: „Je ein Zipfel mehr als die Weibchen.“ Damit ist gemeint, ein Fühlerglied mehr (13 statt 12) und ein Hinterleibssegment mehr (7 statt 6). Das nützt allerdings am Kaffeetisch nur wenig – oder wer würde ich sich darauf verlassen, beim Zählen der winzigen Fühlerglieder nicht eines übersehen zu haben…. Solitäre Bienen können auch stechen – aber sie haben viel weniger zu verteidigen, große Räuber interessieren sich in der Regel nicht für einen Bienennest mit wenigen einzelnen Eiern oder Larven. Ihr Gift ist also nicht darauf ausgelegt, uns zu beeindrucken – und selbst im unwahrscheinlichen Fall eines Stiches (meist) nicht sehr schmerzhaft.

Schmerz und Giftigkeit

Schmerz ist eine sehr deutliche Ansage, unmittelbar und unmissverständlich. GEH WEG! Es ist einleuchtend, dass ein Gift je besser zur Abwehr taugt, je schmerzhafter es wirkt. Aber Schmerz allein reicht nicht. Tiere, die auf den Nährwert eines gut gefüllten Bienennestes angewiesen sind, würden folgenlosen Schmerz vielleicht hinnehmen. Bären oder Stinktiere fühlen die schmerzhaften Stiche in Nase oder Ohren, aber sie nehmen die Ungemach in Kauf. Zumindest bis zu einem gewissen Grad: Denn die Stiche tun eben nicht nur weh – sie sind auch toxisch. Die Toxizität von biologischen Giften wird in mg/kg angeben, also wieviel mg Gift pro kg Körpergewicht des Opfers braucht man, um die Hälfte der Opfer zu töten. Für einige Insektengifte wurde die letale Dosis für 50 Prozent der Opfer, also der LD50-Wert, in Mäuseexperimenten bestimmt. Das Gift der Honigbiene kommt auf einen LD 50 von 2,8 mg/kg. Danach sind mehr als 1000 Stiche nötig um einen 60 kg schweren Menschen tödlich zu vergiften. Die gefürchtete Hornisse hat dagegen „nur“ einen LD50 von 10 mg/kg, es ist also für die gleiche Wirkung fast das vierfache an Gift nötig. In unseren Breiten haben stechende Insekten kaum die Mittel, uns chemisch zu vergiften. Allerdings können die komplexen Giftgemische eine schwere allergische Reaktion auslösen – und die führt tatsächlich jedes Jahr zu etwa 20 Todesfällen in Deutschland.

Deutsche Wespe, Vespula germanica
Gemeine Wespe, Vespula vulgaris

Die Gifte der Stechimmen enthalten unter anderem Eiweiße und Teile davon, also Peptide und Aminosäuren. Histamin treibt Schwellung und Schmerz und kommt offenbar in den meisten Giftmischungen vor. Andere Komponenten sind artspezifisch, wie das Mellitin der Honigbiene. Seine Wirkung ist ziemlich gut untersucht: Es lagert sich in die Zellmembran ein und bildet dort Ionenkanäle, wirkt gerinnungshemmend und fördert die Auflösung roter Blutkörperchen (Hämolyse). Es wird außerdem als schmerzauslösend und antibakteriell beschrieben.

Wie vermeidet man Stiche von Wespen und Bienen?

Geistig gesunde Menschen vermeiden Wespen- und Bienenstiche, selbst wenn sie keine Allergie fürchten. Sollte man meinen. Der Stechimmen-Forscher Justin O. Schmidt forscht schon seit den 70er Jahren am Thema, berühmt geworden ist aber aber mit seinem heldenhaften (oder doch eher masochistischen?) Einsatz für die Insektenstichforschung: Er ließ sich von den fiesesten Hautflüglern des Planeten stechen und entwickelten aus den zum Teil brutalen Erfahrungen den Schmidt-Schmerz-Index, in dem er die Schmerzintensität auf einer Skala von 0-4 einordnete. Die Honigbiene gilt als Referenz – praktisch jeder hat schließlich schon einmal einen Stich von Apis mellifera erlebt. Sie erhält eine glatte 2. Schmidt beschreibt die Schmerzerfahrung geradezu poetisch: „Ein brennendes Streichholz landet auf Deinem Arm und wird zuerst mit Lauge und dann mit Schwefelsäure gelöscht.“ Hornissen, Heimische Faltenwespen (das sind die gelb-schwarzen am Kaffeetisch) und Hummeln kommen ebenfalls auf eine 2. Nur wenige Stiche erreichen eine 4, darunter die Tarantel-Wespe, die mit ihrem Gift eigentlich eine Spinne lähmen will („Ein eingeschalteter Fön wurde gerade in Dein Badewasser geworfen“.) Glücklicherweise kommt keine unserer heimischen Wegwespen an dieses Schmerzmaß heran. Das Beispiel der Tarantel-Wespe zeigt aber: Schmerz und Giftigkeit sind nicht zwingend gekoppelt: Der LD50 des Tarantel-Töters liegt bei 90g/kg.

Eine heimische Wegwespe mit Linyphia triangularis , der Gemeine Baldachinspinne

Am Ende hat der 2015 mit dem alternativen Nobelpreis ausgezeichnete Justin Schmidt noch einen Tipp für eine Tarnkappe gegen stechende Hautflügler: „Stopp Breathing!“ Unser Atem ist der ultimative Trigger für die stacheltragenden Kriegerinnen, denn sie erkennen einen möglichen Nesträuber (auch) am Geruch seines Atems. Ich erinnere mich in diesem Zusammenhang schaudernd an die noch in meiner Kindheit verbreitete Empfehlung, eine herannahende Wespe einfach „wegzupusten“, statt nach ihr zu schlagen…

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