Dieses Jahr lag der geliehene Garten noch ein Stück nördlicher als sonst im südlichen Norwegen und bestand aus einer Heide auf Felsgrund, die in ein Hochmoor am Seeufer überging. Eingerahmt wurde das Naturgemälde von kieferndominierten Mischwald.
Eine schwimmenden Moorinsel war am Seeufer vertäut worden und trug eine große Holzterrasse- ideal um die Moorbewohner kennen zu lernen. Das lebende Fundament der Konstruktion bestand aus Torfmoosen (Sphagnum). Diese wachsen fortwährend in die Höhe, während ihre tieferen Schichten absterben. Da Moose ohne Wurzeln auskommen, ist das kein Problem, dafür speichern sie mit speziellen Zellen im Extremfall das 30-fache ihres Eigengewichts an Wasser.
Torfmoose gehen also quasi über Leichen, um nach oben zu kommen. Die alten Pflanzenteile verrotten aber aufgrund von Sauerstoffmangel und saurer Umgebung nicht komplett, so stapeln sich immer neue Schichten in die Höhe- ein Hochmoor entsteht. Ihren Nährstoffbedarf decken Torfmoose durch Regenwasser und geben dabei Wasserstoff-Ionen ab. Dadurch säuern sie ihre Umgebung kontinuierlich an – Moorwasser erreicht essigähnliche pH-Werte zwischen 3 und 4,8 – da können die meisten pflanzlichen Konkurrenten nur dankend abwinken. Das schafft Platz für die „Hungerkünstler“, die sich auf den niedrigen Nährstoffgehalt bei saurem Milieu eingestellt haben. Torfmoose leben also von dem, was Wind und Regenwasser hergeben – und das ist nicht viel. Die Torfschicht, die sie entstehen lassen, wächst jährlich nur um etwa 1mm. Bäume haben es schwer ohne Mineralsalze, mit ständig nassen Wurzeln und in saurem Wasser: die wenigen Kiefern oder Birken bleiben krüppelig und sehr klein – so bleibt Platz für Spezialisten:
Einige Zwergsträucher begegnen dem Nährstoffmangel mit Hilfe eines Pilzpartners, der ihnen im Austausch für energiereiche Photosyntheseprodukte (Zucker) Nährstoffe aus tieferen Torfschichten bietet. Moosbeere (Vaccinium oxycoccus), Rauschbeere (Vaccinium uliginosum) und Schwarze Krähenbeere (Empetrum nigrum) leben ausschließlich auf Torf, andere kommen auch auf dem Waldboden zurecht und wuchsen den Hang bis zur Hütte hinauf: Heidekraut (Calluna vulgaris), Heidelbeere (Vaccinium myrtillus) und Preiselbeere (Vaccinium vitis-idaea) wirkten zusammen mit dem gelb blühenden Wachtelweizen wie ein Hanggarten!
Auf den moorigen Lebensraum angewiesen und deshalb in Deutschland sehr in Bedrängnis ist der Gagelstrauch (Myrica gale), auch Moor-Gagel genannt. Sein ätherisches Öl wurde früher für verschiedene Anwendungen genutzt, unter anderem für Parfüm. Die durchgestylte Raupe des Schlehenbürstenspinners mag die Blätter offenbar auch.
Lebende Nahrungsergänzungsmittel
Eine besonders ausgefeilte Ernährungsstrategie hat der Rundblättrige Sonnentau (Drosera rotundifolia) entwickelt: Weil im Moorboden wichtige Nährstoffe fehlen, fängt er sich tierische Beikost: Mit unwiderstehlich glitzernden „Tautröpfchen“ lockt er Insekten an. Wer daran nascht, bleibt allerdings kleben und wird von dem sich einrollenden Blatt eingeschlossen und verdaut
Weit verbreitet war früher die Sumpfschrecke. Sie ist aber darauf angewiesen, dass ihr Lebensraum dauerhaft feucht bleibt, weil die Eier nicht gut mit Austrocknung zurecht kommen. Die Trockenlegung von Überschwemmungsgebieten hat sie deshalb sehr dezimiert.
Im Heidekraut zuhause fühlte sich die Rote Wespe (Vespula rufa). Sie lebt selbst unter anderem vom Honigtau der Blattläuse und zerkaut für ihren Nachwuchs Mücken zu Brei. Für Blaubeermarmelade und Salami interessiert sie sich dagegen gar nicht- und ist damit von den Echten Wespen (Vespinae) unangefochtener Anwärter auf den Sympathiepreis: Im Gegensatz zu ihren nächsten Verwandten der Deutschen (Vespula germanica) und der Gemeinen Wespe (Vespula vulgaris) meidet sie die Nähe des Menschen und gilt als friedfertig. Zuhause habe ich sie noch nie gesehen.
Einer der wenigen Tagfalter: Der Wachtelweizen-Scheckenfalter (Wachtelweizen) ist nicht auf bestimmte Nahrung angewiesen und noch recht häufig.
Die Weidenglucke (auch Blaubeerglucke) dagegen mag als Raupe Blaubeerblätter. Zuhause gilt sie als gfährdet.
Das grünes Blatt (Geometra papilionaria) frisst als Raupe am liebsten Birke, der Birken-Eulenspinner (Tetheella fluctuosa) mag gar nichts anderes- das nennt man monophag. Beide sind nicht selten, aber zuhause im Garten habe ich sie noch nie getroffen.
Schellenten (Bucephala clangula) soll es als Durchzieher auch in den Hemmerder Wiesen schon gegeben haben. Im geliehen Garten konnten ich sie jeden Abend mit dem Fernglas über das Wasser gleiten sehen: Die ziemlich kleinen Enten nisten in alten Spechthöhlen in Bäumen nahe Gewässern – meterhoch über dem Boden! Die Küken sind Nestflüchter und müssen kurz nach dem Schlupf bereits mehrere Meter tief springen! Dafür liegen die Eier so viel sicherer als am Boden. Anschließend können die kleinen Enten bis zu 8 Meter tief nach Fischen tauchen. Jäger mit Duckface!
Große Jäger sind auch die Libellen. Ich hab sie nicht alle erwischt, aber diese Kleine Moosjungfer (Leucorrhinia dubia) gilt als typische Moorart- und ist entsprechend gefährdet. Die Eier werden an schwimmenden Torfmoosen abgelegt – und die Larven brauchen wegen des nährstoffarmen Wassers mit wenigen Beutetieren 3 Jahre für ihre Entwicklung. Die Gemeine Becherjungfer (Enallagma cyathigerum) ist weniger anspruchsvoll.
Es war toll, beim Morgenkaffe im geliehenen Garten so viele neue Mitbewohner und ihre Überlebensstrategien kennen zu lernen!