Die Sonne scheint, und selten war ich so dankbar für meinen Garten wie in diesem Corona-Frühling. Den Mitbewohnern im Garten ist die Menschen-Pandemie egal, es herrscht „Business as usual“. Das bedeutet in diesen Tagen das genaue Gegenteil von Kontaktverbot.
Das Ringeltaubenpaar zelebriert wie jedes Jahr seine etwas aufdringliche Hochzeitsshow. Tauben werden ja rund um menschliche Trauungen gern als Symbol der Treue und romantischen Brautwerbung eingesetzt. Tatsächlich gelten Ringeltauben als monogam. Damit ist allerdings gemeint: Für eine Brutsaison. Im Herbst sammelt man sich in größeren Gruppen für den Winter und mischt die Karten im Frühling neu.
Die Wochenzeitung „die Zeit“ widmete kurz bevor Corona jedes andere Thema verdrängte eine Titelgeschichte der Frage, ob menschliche Monogamie möglicherweise gegen die Natur sei, quasi ein zivilisatorischer Irrweg, der aufgrund unserer biologischen Grundlagen zum Scheitern verurteilt sei. Tatsächlich ist lebenslange Treue im Tierreich selten – aber es gibt sie, auch in meinem Garten! Die Elstern, denen trotz ihrer Schönheit ein fragwürdiges Image als Räuber anhaftet, bleiben lebenslang zusammen.
Promiskuität ist die Regel
„Monogam“ für eine Saison sind eigentlich auch die Meisen. Forscher wissen allerdings zu berichten, dass beide, Männchen wie Weibchen, jede Gelegenheit zum Seitensprung nutzen. In den Gelegen finden sich sehr häufig Eier verschiedener Väter. Das interpretiert man so, dass die Weibchen sich gern absichern – sollte sich das Erbgut des Erwählten als weniger lebenstüchtig erweisen. Die Männchen können mit ihrer Untreue ihr Erbgut unkompliziert weitergeben, ohne selbst Energie an die Aufzucht verschwenden zu müssen. Lustigerweise werden Männchen, die besonders viel in der Nachbarschaft herumvögeln, besonders häufig von dem dann schlecht bewachten Weibchen betrogen, wie Andreas Tjernshaugen in seinem Buch über Meisen schreibt.
Kontrolle als Erfolgsrezept
Es ist daher unter Tieren nicht unüblich, die Weibchen in ihrer „fruchtbaren“ Zeit gut zu überwachen. Weibliche Feuerwanzen (Pyrrhocoris apterus) zum Beispiel kopulieren gern mit verschiedenen Männchen. Außerdem verfügen sie, wie die meisten Insekten, Weichtiere und Gliederfüßer über eine Spermatheka, eine Kammer, in welcher der Samen für eine spätere Befruchtung aufbewahrt werden kann. Nicht immer kommt dabei der erste Geschlechtspartner zum Zuge. Das Feuerwanzenmännchen hakt sich daher gut am Weibchen fest und lässt sich viele Stunden bis Tage herumschleifen. So stellt er sicher, dass kein anderer Kerl die Auserwählte bespringt und steigert seine Chance auf eigene Nachkommen. Im letzten Sommer konnte ich am Steg des Ferienhauses das „Liebesspiel“ der Wasserjungfern beobachten: In einem fragil erscheinenden „Herz“ schweben die Partner dabei von Schilfhalm zu Schilfhalm. Ein schönes Fotoobjekt aber weniger romantisch wenn man weiß, dass er lediglich seinen Kontrollwahn auslebt, bis Mutter Libelle ihre Eier abgelegt hat.
Spermienwettkampf
Ich las, viele Insektenmänner putzen die Spermakammer der Weibchen erstmal mit speziellen Werkzeugen aus. Der „Wettkampf der Spermien“, der quasi erst einsetzt wenn der Wettkampf um die Partnerwahl bereits gelaufen ist, ist ein großes Forschungsfeld. Die Wissenschaftsfliege Drosophila wird als Modell untersucht, und es scheint, dass „toxisches“ Sperma nach der Begattung das Sexualverhalten der Weibchen beeinflusst. Bis zu KO-Tropfen ist es da nicht mehr sehr weit.
Ist also der stundenlange Liebesakt der Schnecken – bei meinem Liebling dem Tigerschnegel (Limax maximus) als akrobatische Hängepartie an Schleimfäden zu beobachten – nur Akt eifersüchtige Fortpflanzungskontrolle? Oder haben die Beteiligten doch etwas Spaß an der Sache? Das werden wir wohl nicht so bald erfahren.
Tödlicher Sex
In jedem Fall muss es ein mächtiges Programm sein, dass die Bewohner meines Gartens zur Paarung treibt. Bei vielen Arten ist der erste Sex für die Männchen auch direkt der letzte: Die Freier meiner Gartenkreuzspinne müssen zunächst einen „Bewerbungsfaden“ herstellen, dann zupfen sie eine für uns unhörbare Nachricht – und werden nicht selten vom Weibchen gefressen. Drohnen, also männlichen Bienen, explodiert ihr bestes Stück quasi bei der Begattung ihrer Königin – und damit endet das männliche Bienenleben.
Einzelgänger in der Zwickmühle
Bei unserem Igel (Erinaceus europaeus) sieht es jedenfalls nicht nach Spaß aus. Die notorischen Einzelgänger stehen in Sachen Vermehrung vor einem Dilemma: Alleine geht es nicht, aber zusammen will eigentlich auch keiner. Treffen sich Igel und Igelin, gibt es daher lautstarke Auseinandersetzungen. Es sollen schon Menschen die Polizei wegen streitender Igel (die sie nicht als solche identifizieren konnten) gerufen haben. Einmal, in der Dämmerung, störte ich zwei Igel bei ihren Anbahnungsversuchen vor der Schwedenhütte. Er umrundete die eingekugelte Angebetete, bis er mich bemerkte, danach gaben beide schnell Fersengeld. Die Igelpaarung ist so spektakulär, dass es einen eigenen Namen dafür gibt: Beim „Igelkarusell“ versucht sich der Igel immer wieder der Auserkorenen zu nähern. Sie wehrt sich nach Leibeskräften, faucht, beschimpft und verbeißt ihn. Schließlich rollt sie sich zu einer Stachelkugel zusammen, während er immer um sie herumwandert und anstubst. Sollte ein Nebenbuhler auftauchen, nutzt sie den Kampf der Beiden zu Flucht. Sie hat also offensichtlich wirklich keinen Bock. Nach Stunden (!) gibt sie nach, der Mann darf bei angelegten Stacheln von hinten aufsitzen – und sich anschließend sofort vom Acker machen, um eine neue Affäre aufzureißen. Um die Aufzucht der Jungen kümmert sie sich lieber wieder allein.
Die Liebe in Zeiten der Cholera
Die Paarbeziehungen in meinem Garten reichen also von lebenslang monogam über heimlich promiskuitiv, obsessiv besitzergreifend bis zum Quickie. Aus einer aktuellen Ausgabe der GEOkompakt mit dem Thema „Insekten“ entnahm ich noch, dass selbst eine Art „künstliche“ Befruchtung möglich ist: Springschwanz-Männchen (Colembolla) legen ihre Samenspende stumpf irgendwo ab und hoffen, dass ein Weibchen sie findet. So ist Sex mit Fremden auch in Pandemie-Zeiten möglich. Da die über 400 in Deutschland vorkommenden Arten dieser Familie häufige Bodenbewohner sein sollen, ist die Indiskretion bezüglich ihres Sexuallebens ein guter Anlass, diese mir noch unbekannten Mitbewohner einmal unter die Lupe zu nehmen. Buchstäblich.