Regentropfen

Rette sich, wer kann!

Es gießt. Der Regen trommelt auf die Dachfenster, und ich darf im Bett bleiben, weil wir Urlaub haben, der coronabedingt zuhause stattfindet. Vor meinem Fenster herrscht allerdings reger Flugbetrieb. Die Wespen haben ganz offensichtlich kein Schlechtwetterfrei. Dabei muss so ein Regentropfen für ein Insekt mit hauchzarten Flügeln ziemlich furchterregend sein.

Was machen meine Gartenmitbewohner eigentlich bei Regen und Gewitter?

Schwalben gelten ja als zuverlässige Meteorologen. „Es gibt gleich Regen, die Schwalben fliegen so tief“, heißt es. Und das stimmt sogar! Aber nicht, weil die Vögel ihrer Freude über einen warmen Sommertag mit besonders hochfliegender Luftakrobatik Ausdruck verleihen wollen – sondern weil sie Insekten jagen. Die sind meist von der Thermik abhängig, um in höhere Luftschichten zu gelangen. Stabilwarmes Wetter produziert also lohnende Beutezüge in der Höhe, bei abfallender Luft finden sich die leckeren Chitin- Eiweiß-Häppchen eher in Bodennähe.

Mehlschwalben (Delichon urbicum) hoch über dem Garten

Gewitterwürmchen hassen Gewitter

Ein Fransenflügler ( oder Gewitterwürmchen). Es gibt über 200 Arten in Deutschland, über 5000 weltweit! Mit bloßem Auge erkenne ich nur ein winziges „Komma“.

Bestes Beispiel für die Hochdruck-Abhängigkeit der Insektenverteilung sind die allseits bekannten „Gewitterwürmer“. Eigentlich Fransenflügler, oder auch Thripse. Kurz bevor es kracht, sind sie plötzlich überall – vor allem auf Haut und heller Kleidung. Gewitter, könnte man denken, ist ihr Element. In Wahrheit versuchen die winzigen Tierchen (1-3 mm Körpergröße) sich in Sicherheit zu bringen, sobald die elektrische Ladung der Luft ihnen verrät, dass ein Gewitter naht. Regen ist nämlich lebensgefährlich für die Tiere. Aus eigener Kraft sind sie kaum flugfähig, aber mit warmer Luft steigen sie in die oberen Luftschichten und „segeln“ dort, um sich weiter zu verbreiten. Sobald die Feldstärke in der Luft zunimmt (bis zum 500fachen der normalen Ladung), versuchen die Tiere zu landen. Am Boden hat es dann den Anschein, dass sie sich plötzlich in Gewitternähe  zusammenrotten.

Ein Fransenflügler auf meiner Haut. Die tiefen Poren zeigen nicht meine Altersfalten (das ist mein Unterarm), sondern die starke Vergrößerung. Das ganze Tier war nur einen Millimeter lang. (Ich liebe mein neues Makro :-))

Lästig ist es, wenn sie massenhaft auf Menschen Schutz suchen oder sogar versuchen, uns anzusaugen, obwohl sie eigentlich auf Pflanzensäfte stehen. Sie können auch Sachschäden verursachen: Ihr Mini-Körper passt zum Beispiel unter das Display elektronischer Geräte, wo sie dann ihr Leben aushauchen und einen störenden schwarzen Fleck hinterlassen. In anderen Teilen der Erde können sie Nutzpflanzen schädigen. Trotzdem finde ich es traurig, dass man bei einer Googlesuche über „Thripse“ zuerst Tipps zur Schädlingsbekämpfung von „Mein schöner Garten“ findet – noch vor dem Wikipedia-Eintrag. Wer mehr über die über 200 in Deutschland lebenden Fransenflügler lernen möchte, sollte unbedingt auf der Seite dieses Thrips-Forschers vorbeischauen!

Mücken sind hart im nehmen

Auch größere Fluginsekten sehen zu, dass sie vor dem Regen unters Dach kommen. Schon wenn die Feldstärke der Luft auf das 8-fache des Normalwertes steigt, stellen viele den Flugbetrieb ein. Die Gastronomie macht entsprechend die Schotten dicht: viele Blüten schließen bei Regen vorzeitig den Ausschank, in meinem Garten etwa Vogelmiere (Stellaria media) , Horn-Sauerklee oder die Kapmargariten.

Einige Insekten hält das leider nicht ab. Wer auf Blut statt Nektar aus ist, kann sein Glück ja trotzdem versuchen. Ein durchschnittlicher Regentropfen ist groß wie eine Mücke, hat aber 50 mal mehr Masse. Der Zusammenprall einer Mücke mit einem Wassertropfen wäre demnach vergleichbar mit der Kollision eines Menschen mit einem Bus. Wieso fliegen die Viecher trotzdem bei Regen – und überleben das auch noch? Das hat Physiker aus Atlanta interessiert, und sie haben genau nachgemessen: Wird eine Mücke währen des Fluges getroffen, nimmt sie aufgrund ihrer geringen Körpermasse kaum Energie aus der Kollision auf. Sie wird statt dessen ein gutes Stück nach unten mitgerissen, bevor sie unverletzt seitlich aus dem Tropfen entkommen kann. Gefährlich wird es nur, wenn sie zu nah am Boden fliegt: Die hohe Beschleunigung nach der Kollision mit dem Tropfen lässt einen Aufprall auf dem Boden meist tödlich enden. 

Hummeln meistern Sturmböen

Staatenbildende Bienen und Hummeln kehren bei Regen ins Nest zurück. Mit aufwändigen Strömungsversuchen hat man herausgefunden, dass sie dabei mit Turbulenzen viel besser zurecht kommen als Flugzeuge. Gewitterböen werfen eine pummellige Hummel also nicht aus der Bahn – sie benötigt nicht einmal mehr Kraft, um den Kurs zu halten. Techniker versuchen von den pelzigen Flugkünstlern zu lernen, wie man ihre Technik auch für unsere Flugmaschinen nutzen kann.

Bienen haben auch ein Kunststück auf Lager, dass ihnen im Gewitter das Leben retten kann: Sie können schwimmen– oder besser: surfen. Dabei nutzen sie eine spezielle Ruderbewegung mit den Flügeln, die dabei auf der Wasseroberfläche liegen bleiben. Der Schub reicht nicht, um die nassen Flügel aus dem Wasser zu befreien und sich zu erheben, aber sie manövrieren sich damit zielsicher an den Rand einer Pfütze – wo sie dann eine Gelegenheit zum trocknen finden müssen.

Vorausschauende Ameisen

Von Ameisen und Spinnen ist bekannt, dass sie vorausschauend auf die Wetterlage reagieren können: Ameisen verrammeln die Eingänge zum Bau ein Viertelstündchen vor dem großen Regen. Wenn Eure Ameisen die Sonnenschirme zuklappen, wird es also Zeit, die Gartenpolster in Sicherheit zu bringen. Solange eine Spinne noch eifrig am Netz feilt, kann man dagegen getrost den Grill anwerfen, bei drohendem Gewitter spart sie sich die Arbeit nämlich.

Ausgehwetter für Regenwürmer

Während sich bei anhaltendem Regen selbst das Amselmännchen von seiner Dachfirstwarte zurück zieht, während andere längst im Trockenen auf „besser Wetter“ warten, stürzen sich einige Gartenbewohner voller Freude in eine freundlich feuchte Umwelt: Regenwürmer tragen ihre Vorliebe für hohe Luftfeuchtigkeit ja schon im Namen. Hieß es früher, sie flüchteten aus volllaufenden Gängen an die Oberfläche, hat man sich inzwischen darauf geeinigt, dass sie die feuchte Witterung nutzen, um auf Brautschau zu gehen oder sich ein neues Revier zuzulegen. Regenwürmer flanieren bei Regen.

Eine Hain-Bänderschnecke am Hochbeet

Und die Schnecken stürzen sich mühelos Schleimbahnen ziehend auf das kalte Büffet im Garten. Die Feuchtigkeit erhöht ihren Radius deutlich: Selbst die trockenen Holzwände des Hochbeetes bilden jetzt keine ernst zu nehmende Barriere mehr. Ob sie im Regen singen, ist meines Wissens ebenso unerforscht wie die Frage, ob sie sich bei Gewitter fürchten.

Und was ist denn nun mit meinen Wespen? Dazu habe ich Widersprüchliches gefunden. Aber auf der Seite Wespeninfo heißt es: „Staaten bildende Wespen haben keine Vorratskammern wie z.B. Honigbienen oder Hummeln. Die Wespen müssen dauernd fliegen und Beute machen um die Brut zu versorgen. Regen und Sturm hält sie nicht davon ab das Nest zu verlassen um Nahrung heran zu schaffen. Honigbienen und Hummeln setzen dann keinen Fuß vor die Tür.“ Das deckt sich mit meinen Beobachtungen. Was diese Nervzwerge schaffen, kann ich auch. Ich geh Brötchen holen. Im Regen. Für die Brut.

Eine gemeine Wespe raspelt Holz
Vor dem Regen: Die gemeine Wespe raspelt Holz.

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