Entführt und eingemauert

In der Schau-Nisthilfe, in der man die Entwicklung der eingelagerten Bienenlarven live verfolgen kann, zeigten sich neben den frisch abgelegten Mauerbieneiern samt gelbem Pollenproviant gepunktete Larven in grau. Welche Bienenlarven könnten das sein? Die KI-Bestimmungsapps waren ratlos. Die FB(I)-Experten setzen mich auf die richtige Spur: Das sind gar keine Bienenbabys, sondern Käferlarven. Allerdings werden sie niemals zu Käfern. Sie wurden als Proviant gekidnappt.

Oben sieht man die frisch verschlossene Brutröhre der Rostroten Mauerbiene (Osmia bicornis), unten Brutzellen, welche mit den Larven des Schneeball-Blattkäfers (Pyrrhalta viburni) gefüllt wurden.
Ein sehr niedliches Bild einer Rostrote Mauerbiene (Osmia bicornis) – die sich auf unserem Sofa verflogen hatte.

Gefangen und eingemauert wurde der unglückliche Käfernachwuchs von der Großen Stängelwespe (Symmorphus murarius), einer solitären, tatsächlich ziemlich großen Faltenwespe. Die Käferlarven hat sie etwa 5 Meter entfernt auf meinem im letzen Jahr gepflanzten Schneeball gesammelt. Der Schneeballblattkäfer (Pyrrhalta viburni) frisst monophag an Schneeball. Seine zahlreichen, etwa 1 cm große „Maden“ knusperten relativ ungeniert an den Blättern. Die skelettierten Blattrippen hatten mir ihre Anwesenheit schon vor einigen Tagen verraten- verbunden mit der Frage, ob die junge Pflanze vielleicht Hilfe bei der Bekämpfung der Invasion brauchte. Die kam dann ohne mein Zutun aus der Luft.

Große Stängelwespe (Symmorphus murarius)

Pech für die Blattkäfer, aber ideale Bedingungen für Symmoprphus, die Lehmwespe: Es gab einen Nistplatz in einer Röhre, in diesem Fall der Nisthilfe. Den Lehm für die Zwischenwände der Brutkammern und den Nistverschluss hatte ich gerade in meine neue künstliche Lösswand verbaut und in Nähe der Nisthilfe aufgestellt. Dazu reichlich Blattkäferlarven auf dem nebenstehenden Schneeball, dann muss man die schweren Larven nicht so weit fliegen. Je nachdem, ob aus dem Lehmwespenei ein Männchen oder ein Weibchen werden soll, stopft die Mutter unterschiedlich viele Larven in die Kammer – nämlich 2-3 mehr für Weibchen, insgesamt 3-8. Symmorpha spec nutzt ausschließlich Blattkäferlarven als Proviant für den Nachwuchs.

Symmorpha murarius galt lange als sehr selten bei uns, aber vor etwa 20 Jahren feierte sie plötzlich ein spektakuläres Comeback mit regelrechten Massenvermehrungen an Nisthilfen. Woran das lag ist ungeklärt. Mit ihrer Rückkehr ist eine weitere bedrohte Art zurück im Spiel des Lebens: Eine Goldwespe hat sich auf die Große Stängelwespe spezialisiert und parasitiert ausschließlich an deren Gelege. Entsprechend befürchtete man bereits ihr Verschwinden. Chrysis iris ist eine blaugrüne Goldwespe mit spektakulären Farben. Ich warte – wie jeder gute Detektiv- geduldig mit der Kamera im Anschlag ;-).

Eine Goldwespe – aber nicht Chrysis iris. auf die warte ich noch. Vielleicht nächstes Jahr, wenn die Lehmwespen das Bienenhotel übernehmen.

Wie so oft werden bei intensiver Beobachtung weitere Verbrechen ruchbar, die sonst vielleicht nie ans Tageslicht gekommen wären: Irgendwer bricht mutwillig die bereits verschlossenen Nester der Mauerbienen auf. Gibt es Bruträuber? Schaufelt sich eine Schlupfwespen den Weg bis zur Eizelle der Mauerbienen frei?

Gemeine Keulenwespe
Gemeine Keulenwespe (Sapyga clavicornis) an Nisthilfe Nummer 2.

Angetroffen wurde beispielsweise dieser Bienenparasit, die Gemeine Keulenwespe (Sapyga clavicornis). Üblicherweise legt sie ihre Eier in einem unbeobachteten Moment allerdings in die noch unverschlossene Brutröhre einer Biene. (Und zwar zwei pro Kammer. Die Geschwister schlüpfen nach wenigen Tagen, noch vor dem Bienennachwuchs, kämpfen mit dolchscharfen Mandeln auf Leben und Tod, die Überlebende saugt das Bienenei aus und häutet sich erstmal. Die neuen Gestalt liefert Freßwerkzeuge passend für die Pollenmahlzeiten aus dem Bienenproviant. Ohnehin ist die Keulenwespe eher an Eiern der Hahnenfuß-Scherenbiene (Chelostoma florisomne) interessiert, die es auch in der Nishilfe gibt.

Chelostoma florisomne, die Hashnenfuß-Scherenbiene, hier auf Löwenzahn.


Während ich also nach den losen Fäden im Nishilfen-Krimi suche, darf eine wichtige Erkenntnis als gesichert gelten: Jede neue Art im Garten hat das Potenzial, eine mehr oder weniger verzweigte Nahrungskette zu begünden. Alles gefressene ist letztlich nur der Anfang von etwas neuem ;-).

Zum Schluss noch etwas Lehmwespen-Verwandschaft fürs Garten-Gästebuch: Diese Lehmwespe könnte Ancistrocerus gazella sein, dass ist aber am Foto nicht sicher zu sagen. Sie bevorratet ihre Brut mit kleineren Schmetterlingsraupen und nistet ebenfalls ins Brutröhren.
Die App erkennt hier Ancistrocerus nigricornis – eine weitere Lehmwespe, die ihre Brut mit Wicklerraupen füttert. Die erwachsenen Tiere leben vegetarisch.

About the author

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert