Sitzt man mit einem frischgerupften Melissentee auf der inzwischen leicht verfallenen Kante unserer Holzterasse, befindet man sich in der Mitte eines Dreiecks, welches drei (vergleichsweise) mächtige Pflanzen bilden. Die Buche ist die unangefochtene Regentin des Gartens und wirft mit ihrer majestätischen Krone einen ebensolchen Schatten. Ein ehemals kleines Bäumchen nahe der Terrassentür wird von mir zwar jährlich rigoros beschnitten, beherrscht aber spätestens in der zweiten Hälfte des Jahres mit dessertellergroßen Blättern den Durchgang zum „Westgarten“, und direkt an der Hauswand versteckt ein etwa 3 Meter hoher, immergrüner Busch gnädig die wenig anmutige Regentonne aus Kunststoff.
Naturgärtner mag es gruseln, aber mir persönlich gefällt die Vorstellung, dass ich durch den Dampf meiner Tasse damit Blick auf typische Gehölze aus drei Kontinenten habe. Denn während die Rotbuche (Fagus silvatica) einer unserer häufigsten Laubbäume ist, stammt der Busch vor der Wassertonne vom anderen Ende der Erde. Es ist eine Aukube aus Japan (Aucuba japonica). Seine gelb-grün panaschierten Blätter (die ihn als eine Zuchtform der in Japan wildwachsenden Aukuben ausweisen) finde ich eigentlich etwas aufgesetzt – aber er schwächelt nicht und hält auch im Winter Schlauchanschluss und Regentonne versteckt. Wenige Meter weiter wächst ein Tulpenbaum (Liriodendron tulipifera) aus Nordamerika. Er wird von mir künstlich mit groben Sägeattacken klein gehalten, denn wer immer ihn dort gepflanzt hat, hätte besser mal vorher gegoogelt: Eine Wuchshöhe von 40 Metern kann ich ihm an seinem Standort leider nicht gestatten, aber er gibt sich immer große Mühe, sie doch zu erreichen. Der Tulpenbaum hat übrigens nur unscheinbare Blüten, aber tolles Laub. Das älteste Exemplar mit etwa 450 Jahren soll in New York eine Berühmtheit sein.
Ich weiß, Neophyten gelten als minderwertig bis böse. Die Rhetorik der Naturschutzverbände zu dem Thema wird bisweilen für meinen Geschmack etwas militant. Ich genieße die Gedankenreise durch die Wälder der Erdkugel im Angesicht meiner Garten-Mitbewohner trotzdem ohne schlechtes Gewissen – schließlich habe ich sie nicht gepflanzt.
Von mir selbst in den Garten eingeladen wurden dagegen die Kap-Margeriten (Osteospermum) aus Südafrika, die mich immer an einen vergangenen Urlaub in Madeira erinnern (die ganze Insel hat Züge eines großen botanischen Gartens) und die Blaue Passionsblume (Passiflora caerulea) aus Südamerika, die ich vor dem Verdursten in einem Aldi-Container retten musste. Als invasive Neophyten sind sie wegen ihrer Frostempfindlichkeit unverdächtig. Dank eines milden Winters erleben sie trotzdem schon ihr zweites Jahr.
Das macht dann 5 Kontinente in 5 Minuten. Im Sitzen. Geht doch.