Geistig gesunde Menschen mögen Schmetterlinge. Ich habe jedenfalls noch nie jemanden sagen hören: „Iih, sieh dir dieses eklige Geflatter um meine Sommerblumen an, ich muss dringend eine Schmetterlingsfalle besorgen“. Schmetterlinge sind schön bunt, sie stechen nicht und machen (meistens) nichts kaputt. Außerdem wirken sie so herrlich unbeschwert! Wer würde sich nicht gern in warmer Sommerluft und Blütenduft in die Höhe schrauben und dabei spielerisch mit dem Liebsten tanzen?
Und da haben wir schon den ersten Wahrnehmungsfehler. Nicht selten beobachten wir an dieser Stelle einen Luftkampf. Zwei Männchen streiten um das Recht zur Begattung, ein Revier wird verteidigt. Denn eigentlich sind die prachtvollen Tagfalter im Stress: In ihrem letzten Lebensabschnitt wartet ihre wichtigste Aufgabe: Vermehrung. Nach Monaten, manchmal Jahren in verschiedenen flugunfähigen Entwicklungsstadien als Raupe und Puppe bleiben dafür nur wenige Wochen oder Tage.
Der Härteste im Garten
Der Winter ist eine Prüfung für Schmetterlinge. Frost ist grundsätzlich schlecht, wenn man die eigene Köpertemperatur nicht regulieren kann. Die meisten Schmetterlinge überwintern deshalb als Ei oder in einem Raupenstadium in der Erde. Einige bekannte Gartenbewohner wie das Tagpfauenauge (Aglais io) suchen sich geschützte Winterquartiere wie Dachböden oder Keller. Eines dieser scheinbar fragilen Geschöpfe, je nach Geschlecht zitronengelb oder grüngelb – ist allerdings ein knallharter Überlebenskünstler. Er überwintert einfach im Gras oder an einem Ast hängend- bei bis zu -20 Grad! Zitronenfalter (Gonepteryx rhamni) haben Glycerin und Sorbit als Frostschutzmittel im Körpersaft. (Blut ist nicht ganz richtig, weil die Flüssigkeit nicht dem Sauerstofftransport dient und deshalb auch nicht rot ist.)
Der Mutigste der Schmetterlinge
Ein relativ kleiner Schmetterling hat eine besonders eigenwillige Lösung für das Winterproblem gefunden: Der Wiesenknopf-Ameisenbläuling (Phengaris nausithous) lässt sich als Raupe von seiner Wirtspflanze fallen und wartet auf ein Ameisentaxi. Rote Gartenameisen (Myrmica rubra, Myrmica samaneti oder Myrmica scabrinodis) schleppen ihn als Futter in ihren Bau, und er schmeichelt sich bei seinen Gastgebern ein, indem er süßen Saft produziert und gleichzeitig Duftstoffe des Ameisennachwuchses imitiert. Die Ameisen pflegen die Raupe im warmen Nest durch den Winter, während diese sich von der Ameisenbrut ernährt. Bis zu 600 Larven fallen der Schmetterlingsraupe bis zur Verpuppung im Frühsommer zum Opfer. Nach den drei Wochen als Puppe wird der Bläuling zum Schmetterling – und damit ist es vorbei mit der Tarnung. Jetzt muss er sehen, dass er „die Höhle der Löwen“ schnell verlässt – um sich zu paaren und die nächste Eiergeneration abzulegen.
Ausdauernd
2000 Kilometer Reiseweg ohne technische Hilfsmittel inklusive Alpen- und Mittelmeerüberquerung, bei Wind und Wetter. Das ist eine krasse Nummer für ein Insekt mit etwa 0,15 Gramm Gewicht und papierdünnen Flügeln. Der prachtvolle Admiral (Vanessa atalanta) wanderte von Südeuropa oder sogar Nordafrika bis zu uns, um hier die nächste Generation zu zeugen. Die flog dann im Herbst zurück, und war dabei ungefähr so schnell, wie ich auf dem Fahrrad, wenn mich niemand jagt (10-20 kmh). Inzwischen sind Alpenüberquerungen beim Admiral selten, aber die Tiere fliegen immer noch von hier bis Skandinavien. Wer sich schon einmal auf einer Finnland- oder Schwedenfähre gegen den Seewind gestemmt hat, kann sich kaum vorstellen, wie die Leichtgewichte die Ostsee bezwingen.
In diesem Jahr gab es einen Masseneinflug von Distelfaltern (Vanessa cardui) nach Europa. Laut den Aufzeichnungen des NABU flogen die Tiere vor allem über Israel, Zypern und den Balkan nach Mitteleuropa und bis nach Skandinavien. 50 km vor der norwegischen Küste rasteten Ende Juni hunderte Distelfalter auf einem Frachtschiff – dass muss ein spektakulärer Anblick gewesen sein. Ich selbst kann mich kaum zu einer halben Stunde Dauerlauf motivieren – da nötigt mir die Ausdauerleistung der Wanderfalter besonders großen Respekt ab.
Das Beste zum Schluss?
Am umflatterten Lavendelbusch drängen sich Fragen auf, die offenbar noch kein Wissenschaftler beantwortet hat: Macht Schmetterlingen das Fliegen eigentlich Spaß? Genießen sie es, nach langer Zeit im oder am Boden die noch frischen Flügel auszufalten und sich in die Luft zu schwingen? Sind sie als Falter glücklicher als als Raupe? Oder erinnern sie sich wehmütig an die Monate auf der Wirtspflanze mit dem einzigen Ziel, zu Fressen bis man buchstäblich aus der Haut platzt? Erinnern sich Insekten überhaupt an die Zeit vor der letzten Metamorphose? Es gibt Forscher, die denken, dass Insekten ein Bewusstsein haben. Was sich dort abspielt werden wir aber wohl bis auf weiteres nicht erfahren.
Mauerblümchen und Paradiesvögel
Schmetterlinge mögen alle. Aber „Motten“? Obwohl die meisten Schmetterlinge Nachtfalter sind, wird ihr glänzendes Image von Tagfaltern bestimmt. Viele nachtaktive Schmetterlinge sind haarig und braun oder grau. Unschön, bestenfalls unspektakulär. Außerdem wirken sie mit ihrer Neigung, in offenen Flammen oder Lampenschirmen „Selbstmord zu begehen“ irgendwie depressiv – oder auf traurige Art ferngesteuert….
Trotzdem gibt es unter den Nachtfaltern einiges zu entdecken. Es gibt zum Beispiel tagaktive Nachtfalter, wie das bezaubernde Taubenschwänzchen, das wie ein kleiner Kolibri fliegt. Farblich eher unspektakulär bringt er mit seinem exotischen Schwirrflug Dschungelfeeling auf den Balkon- und hat daher viele menschliche Freunde. Einige Nachtfalter können es darüber hinaus in Zeichnung und Farbgebung durchaus mit der beliebteren sonnenhungrigen Verwandtschaft aufnehmen. Und „Motten“ sind übrigens eine Familie kleiner Schmetterlinge, von denen einige als Schädlinge eine gewisse Berühmtheit erlangt haben. Unter den Nachtfaltern gibt es aber noch viel mehr Gruppen, zum Beispiel Eulen, Bären, Schwärmer, Glucken, Widderchen, Wickler, Zündsler, Spinner und Spanner… (Das ist mal einen eigenen Blogtext wert).
Das Wesen der Schönheit
Trotzdem: Schillernde Edelfalter auf sonnigen Blüten wecken einfach positivere Assoziationen bei uns. Tolles Outfit, das so ein Tagpfauenauge da präsentiert, oder? Eine hungrige Amsel hat dazu allerdings eine ganz andere Wahrnehmung. Kaum klappen die Flügel auf, erblickt sie eine gefährliche Fratze und verzichtet lieber auf den Happen. Schrecktracht heißt das Designprinzip vieler Schmetterlinge. Was uns gefällt, stößt andere ab. Das gilt auch andersherum: Die über einen Meter hohen Brennnesseln (Urtica dioica), die sich an verschiedenen Stellen über meine Beete erheben, erleben menschliche Betrachter als unfreundliche Bewohner eines ungepflegten Gartens. Schwangeren Tagpfauenaugen, Kleinen Füchsen und C-Faltern aber gelten sie als einladende Kinderstube, sowie über 20 weiteren Schmetterlingsarten. Löwenzahn (Taraxacum) ernährt sogar über 40 Falter. Was mir eine willkommene Begründung liefert, nicht zu sorgfältig zu jähten und außerdem erneut beweist, dass Schönheit im Auge des Betrachters liegt.
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