Als Kind habe ich kaum je einen Maikäfer (Melolontha melolontha) gesehen, und Reinhard Mai sang bereits in den 70ern ihr Totenlied – aber sie kommen wieder! Bei uns sind sie regelmäßig zu Gast im Garten, nur die alle paar Jahre auftretenden „Massenaufkommen“ haben wir noch nicht erlebt. Es sind halt immer ein paar, die in der Dämmerung laut wie eine Elektrodrohne und fast so groß wie eine (sehr langsame) Fledermaus durch den Garten fliegen.
3 Jahre haben sie sich unter der Erde fett gefressen, bevor sie nach der letzten Metamorphose gern die jungen Blätter der Buche knabbern. Den Larven schmeckte Löwenzahn in Experimenten am besten. Sie sind aber nicht wählerisch und daher bei vielen Gärtnern unbeliebt. Die fertigen Käfer haben ihrerseits viele Feinde, wie all die Käferbruchstücke belegen, die man derzeit morgens verstreut im Garten findet.
Vatertags pfefferte uns ein Vogel versehentlich seine Maikäferbeute neben den Kaffeetisch, wo das Kerbtier mit einem deutlich hörbaren Ploppen aufschlug. Danach sah das Insekt reichlich tot aus – und auf den ersten Blick schienen auch kaum noch Beine dran zu sein. Wir legten ihn auf den Tisch und beachteten ihn nicht weiter, bis er sozusagen „auferstand“ und plötzlich neben den sechs Beinen auch noch Fühler ausklappte, nur um dann über den Tisch zu wandern und an dessen Ende stumpf von der Kante zu plumpsen… (Auch dieses Mannöver hat augenscheinlich keine Schäden hinterlassen). Dieses „Sich-tot-stellen“ (Thanatose) beherrschen viele Insekten, Anfang des 20 Jahrhunderts wurde es verschiedentlich beschrieben und untersucht. Viele Fressfeinde reagieren auf Bewegung und sehen sonst nicht gut – da kann es helfen, sich nicht zu bewegen. Das kann locker 20 Minuten dauern, ich habe es ausprobiert. Die etwas ungeschickte und langsame Fortbewegung der Maikäfer macht eine rasche Flucht wenig aussichtsreich. Wer also einen vermeintlich toten Maikäfer findet, lege ihn besser nach draußen – möglich, dass er sich buchstäblich „bekrabbelt“.
Der fertige Maikäfer hat noch etwa vier Wochen zu leben, die Männchen sterben nach der Paarung, die Damen nach der Eiablage. An der Größe der Fühler kann man die Geschlechter ganz gut unterscheiden: Auf den sieben „Fühler-Blättchen“ der Männchen sitzen 50.000 Geruchssensoren, mit denen er seine Partnerin findet. Die Weibchen lassen sich finden und brauchen deshalb viel weniger Geruchsnerven („nur“ 9000, unsere Nase hat bis 30 Millionen) und nur sechs Lamellen an den insgesamt viel kleineren Fühlern.
Die Beine haben am Ende richtige kleine Wiederhaken, die einzeln beweglich sind. Das spürt man, wenn man einen Maikäfer auf der Haut krabbeln lässt – abschütteln kann man die Tiere nur schwer. Meine Mutter, die in der Kindheit noch richtige Maikäferschwemmen erlebte, ekelt sich noch heute im Gedenken an einen Streich, den ihre kleinen Brüder ihr spielten: Die Jungs sammelten eine Tüte voll Maikäfer in einer ehemaligen Bonbontüte und ließen die Schwester großzügig, aber „ohne gucken“ zugreifen. Ein nachhaltig wirksames Erlebnis.
Genau genommen gibt es übrigens mindestens zwei Arten von Maikäfern bei uns (eine Dritte ist sehr selten): Neben meinen Feldmaikäfern noch den Waldmaikäfer. Man unterschiedet sie am Hintern, dem sogenannten Pygidium. Na dann: Guten Flug, Herr Sumsemann.
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