Mitbewohner des Monats: Wurmfarn

Der erste Sonnentag nach einem gefühlten Erdzeitalter verlangt nach etwas Gartenarbeit. Die modernden Farnwedel am Rande des Sandkastens sind zu entfernen, bevor sie im Sand untergegraben vor sich hin gammeln. Schon bald werden frische, wie Hirtenstäbe aufgerollte Farnblätter die schattige Nordseite der Thujahecke begrünen und der Sandgrube im alten Teich einen natürlich-waldigen Anstrich verleihen. Ich mag den Wedelwald aus Wurmfarn.

Sonniger Rastplatz: Die Farnwedel werden kaum gefressen, aber gerne als Sitzplatz genutzt.

Historisch gewachsen
Während kiloweise matschig-braune Farnwedel in den Grünabfall wandern, denke ich an das schwarze Gold des Ruhrgebietes, die Kohle, die unseren Wohlstand mitbegründet hat – und zu nicht unerheblichen Anteilen aus den Vorfahren meiner Farnpflanzen besteht. Die ganze Region steht auf einem Fundament auf Farn, könnte man pathetisch sagen, auch wenn die Baumfarne des Karbon vor 300 Millionen Jahren vielleicht etwas anders ausgesehen haben, als mein Begleitgrün am Gartenrand.

Mein Mitbewohner aus der Klasse der Echten Farne: Echter Wurmfarn (Dryopteris filix-mas). Entstanden ist die Art offenbar als Hybride zweier andere Arten im Kaukasus.

Farnfieber

Farne haben jedenfalls einen gewissen Reiz auf Menschen verschiedener Epochen ausgeübt. Höhepunkt war vielleicht die Pteridomanie des viktoriansichen England (Mitte des 19. Jhd, auch Farnfieber genannt), bei dem das Sammeln und Kultivieren seltener Farne in allen Gesellschaftsschichten derart trendete, dass einige Arten ausgerottet wurden und sich die Damen der High-Society aufwändige Tropengewächshäuser bauen ließen, um im englischen Klima spektakuläre tropische Arten züchten zu können…

Teufelszeug

Allerdings haben sich die Menschen auch schon vorher intensiv mit Farn auseinandergesetzt.  Die Vermehrung war jedenfalls ein großes Rätsel. Es gab keine Blüten, keine Samen und auch keine Keimlinge- das musste doch mit dem Teufel zugehen! Prompt hieß es,  Farnkraut blühe  einzig in der  Johannisnacht und werfe dann kostbaren Samen mit Zauberkräften ab. Unter anderem sollte der “Farnsamen“ unsichtbar machen.  Die mittelaterliche Kräuterkundige Hildegard von Bingen (12. Jahrhundert) schwadroniert ausführlich über die abschreckende Wirkung auf den Teufel.

Die Pharmazeutische Zeitschrift berichtet, schon 1611 habe de Obrigkeit das Sammeln von Farnsamen als schädlichen Aberglauben verboten, einige Jahre später soll das Kirchen-Konzil von Ferrara in die gleiche Kerbe geschlagen haben. (Ich habe das jetzt nicht überprüft sondern den Medizin-Historikern der Fachzeitschrift einfach geglaubt.).

Ein Adlerfarnwedel vor der Entfaltung



Mitbewohner mit Doppelleben

Wie vermehren sich die Farne denn nun, wenn es gar keinen Samen gibt? Das ist komplizierter, als man meinen könnte- schließlich kann man an der Blattunterseite deutlich die symmetrisch angeordneten Köpfchen sehen, welche die Sporen beinhalten. Ist das dann der „Farnsamen“? Die Sporen sitzen in einer Batterie mit  effizientem Abschussmechanismus – denn sie bilden das Verbreitungsmittel des Farns. Die bekannte Farnpflanze ist nur die eine Hälfte des Lebenszyklus, denn die Sporen keimen keineswegs zu einer neuen Farnpflanze – sondern zu einem winzigen, herzförmigen Gebilde (einem Prothallium), welches in feuchtem Milieu heranwächst und Geschlechtsorgane mit Eizellen und Spermazellen bildet. Das Prothallium hat auch wurzelähnliche Strukturen zur Wasseraufnahme und Chloroplasten zur Energiegewinnung – es ist eine eigene, selbstständige Pflanze –deren Zellen allerdings nur einen Chromosomensatz enthalten. Im Wasser schwimmen so gebildete Spermazellen zu den Eizellen und vereinen sich zu einer Zelle mit doppeltem Chromosomensatz. Aus dieser Zelle wächst eine neue Farnpflanze mit Sporenbehältern (Sori) und Sporen heran.

Sori des Echten Wurmfarn (Dryopteris filix-mas)


Prothallium war übrigens auch der Name der Zeitschrift des Vereins der Farnfreunde der Schweiz. Inzwischen heißt ihr Vereinsblatt anders, aber allein die Existenz des Vereins zeigt: Das Farnfieber ist nicht vorbei.

Adlerfarn im Schelk

Giftige Selbstverteidigung

Im nahe gelegen „Schelk“, dem Dorfwald, bildet majestätisches Adlerfarn eine eigene Etage im Blätterwald  und damit ein beliebtes Tagesversteck für die immer zahlreicher werdenden Rehe. Deren Verbiss an verschiedenen Pflanzen ist berüchtigt, nur das Farn scheint sich dagegen erfolgreich zur Wehr zu setzen: Sowohl  Adler- als auch Wurmfarn sind ziemlich giftig. Schon vergleichsweise kleine Mengen reichen, um auch größeren Tieren zu schaden. Das gilt auch für Menschen, allerdings sind Farnvergiftungen selten. Offenbar schmecken die Wedel besonders widerlich – einen Selbstversuch habe ich unterlassen und sogar ausnahmsweise Handschuhe getragen. Früher gab es allerdings gelegentlich Unfälle, denn Wurmfarn erhielt seinen Namen aufgrund seiner Wirkung als potentes Entwurmungsmittel. Offenbar haben einige der gegen Darmparasiten wirksamen Gifte auch für den Wirt schwerwiegende Folgen, jedenfalls ist die Verwendung als Medikament heute obsolet. Die verschiedenen Gifte des Wurmfarns sollen schon ab 100g Pflanzenmasse ein Rind töten können, die Vergiftungssymptome reichen von Magen-Darm-Problemen bis zu neurologischen Ausfallerscheinungen. Das Wurmfarn ist damit ein weiterer Mitbewohner mit selbstgemachten Chemiewaffen.

Die Schnecken der neuen Farnwedel sind nach den Prinzipien der goldenen Spirale aufgebaut.

Mein Wurmfarn ist ein hübscher Schattenbewohner ohne besondere Ansprüche, er gibt dem Sandkasten das Flair einer waldig-wilden Ecke im Garten und ist auf den zweiten Blick ein interessantes Gewächs mit langer Geschichte. Grund genug, Mitbewohner des Monats zu werden.

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