Selten sehe ich mich dazu genötigt, den Garten gegen unerwünschte Mitbewohner aktiv zu verteidigen. Am liebsten überlasse ich die Bestandskontrolle konkurrierenden Mitbewohnern und beobachte die Verteilungskämpfe lediglich von der Seitenlinie. In den vergangenen Nächten allerdings konnte ich das unangenehme Gefühl einer schleichenden Invasion nicht abschütteln. Einer schleimenden genauer gesagt: Die Spanische Wegschnecke (Arion vulgaris) strebt die Gartenherrschaft an und übernimmt bei Einbruch der Dunkelheit das Gelände. Zuerst klaubt ich die braunroten Gastropoden nur von den Lieblingspflanzen, sah aber bald, dass diese Strategie zu kurz gedacht war. Ein abendlicher kurzer Stirnlampen-Gang liefert etwa 100 Schleimer – und weil es irgendwie keine gute Möglichkeit gibt, eine Schnecke zu töten, überstellte ich sie zur Abschiebung in die Biotonne.
Wasserfestes Klebstoff-Gleitgel
Sie kämpften mit einer Superwaffe um ihr Leben: Schleim! Unglaublich, wie fest, geradezu unzerstörbar der Schleim an meinen Fing haftete! Instinktiv versuchte ich es mit Wasser – aber das schien den Schleim eher noch voluminöser, schmieriger und adhäsiver zu machen. Ein Gel mit geradezu polsternden Gleiteigenschaften. Seife hatte ebenfalls keinen nennenswerten Effekt. Ich blieb schleimig. Mit triefenden Händen ging ich die verfügbaren Lösungsmittel durch: Alkoholisch mit Gesichtswasser (kein Effekt), ölig mit Body-Lotion (Kein Effekt, außer dass die Bodylotion zusätzlich schmiert und dabei noch fragwürdig durftet), Sauer mit Essigessenz (riecht noch schlimmer und hat ansonsten keinen Effekt auf die Schleimstabilität). Am Ende verlor ich die Geduld und entfernte den Schleim mechanisch mit einem alten Handtuch, wo er dann eintrocknete…
Wow- was für ein Zeug! Kein Wunder, dass die Viecher niemand fressen mag, nicht mal der Igel oder die ewig hungrigen Elstern. Der Schneckenschleim war wie halb getrockneter Alleskleber auf den Fingerkuppen – wer will sowas schon im Mund, Schnauze oder Schnabel haben. Nacktschnecken haben kein Haus. Ihr Schutz gegen Fressfeinde ist: Schleim. Schutz gegen Austrocknung: Schleim. Und selbst der Schutz gegen Krankheitserreger ist Schleim, denn Schnecken haben kein erworbenes Immunsystem (also keine spezifische Abwehr), sie sind also darauf angewiesen, dass die meisten Erreger es erst gar nicht in den Körper hinein schaffen. Der Schleim kann aber noch mehr: Er ermöglicht das Gleiten auf rauen Oberflächen – wirkt also als Schmierstoff. Im nächsten Moment kriecht die Schnecke die senkrechten Wände der Hochbeete hinauf – da muss der Schleim auch als Kleber gegen die Schwerkraft halten. Das klappt sogar über Kopf. Also Schmiermittel und Kleber gleichzeitig! Was für ein Werkstoff.
Stoff für Techniker-Träume
Biomechaniker haben auch bereits ein Auge darauf geworfen. Eine schnelle Literaturrecherche erbrachte vor allem zwei Erkenntnisse: Schleim ist Hightech und so kompliziert, dass wir noch nicht viel darüber wissen – und ihn schon gar nicht nachbauen können. Und zweitens: Es gibt wirklich überraschend viele Schleimforscher! Weltweit wird an Bioklebstoffen geforscht, sehr oft mit Hilfe von Schnecken. Zusammensetzung, Produktion, die Mechanismen der Ausscheidung und die mechanischen Eigenschaften sind weitgehend unverstanden. Die erstaunlichen Materialeigenschaften haben aber Begehrlichkeiten geweckt: Man stelle sich einen biologischen Superkleber vor, der auch auf feuchten Oberflächen haftet, etwa in der Chirurgie.
Der magische Schleim besteht – soviel ist bekannt- aus Proteinketten mit Seitenketten aus Zuckermolekülen. Verschiedene Arten von Drüsen (bei meinen spanischen Wegschnecken sind bisher 5 verschiedene Drüsen identifiziert) geben unterschiedliche Polymere (also Teilchenketten) ab, die sich dann schnell zu einem Schleim mit passenden Eigenschaften verbinden. Materialwissenschaftler wüssten gern genau, wie das funktioniert: Sogenannte „Doppel-Netzwerk-Hydrogele“ brauchen nämlich eine Weile um „auszuhärten“, wenn sie von Menschen künstlich hergestellt werden – die Schnecken schaffen das ohne Verzögerung. Was die Forschung nicht einfacher macht, in einigen Studien die ich las, war es den Forschenden schlicht nicht gelungen, die Gelformation anzuhalten, um die Komponenten zu untersuchen, trotz eiskalter Pufferlösung und allen möglichen anderen Laborschikanen.
Millionen Jahre Optimierung
Steht das Proteingerüst erstmal, passiert das nächste Wunder, denn der Schleim „wächst“. Die Schnecke produziert nämlich eher „Schleim-Granulat“ als Schleim. Dieses zieht dann Umgebungsfeuchtigkeit an und plustert sich so um das hundertfache auf. Die Schnecke könnte gar nicht soviel Wasser „mitschleppen“, um ständig ausreichend Schleim zu produzieren – sie streut also eine Art „Instant-Gel“, welches sich quasi sofort in Hydrogel verwandelt. An dieser Stelle war ich dann ungewollt beeindruckt. Die verfressenen, plumpen Schleimwürste in meinen Beeten bilden eine Zackenspitze auf der Krone der Schöpfung (ich würde Evolution sagen) – durchoptimiert bis in die Molekülstruktur ihres Fußschleims. Ich erkenne also neuerdings ihre Exzellenz auf dem Gebiet der Biomechanik. Glücklicherweise hat ihnen diese Inselbegabung noch keine Option zum Öffnen des Biotonnendeckels mitgegeben. Sie verharren also weiter bei abwechslungsreichem Büffet im Abschiebeknast. Mühelos kopfüber unter dem Deckel.