Mitbewohner des Monats: Brennnessel

Nicht alle Prinzessinnen können sich Zimperlichkeit erlauben. Hans Christian Andersen lässt in seinem Märchen „Die wilden Schwäne“ das tapfere Mädchen Elisa ihre 11 Brüder retten – indem sie ungeschützt und klaglos haufenweise Brennnesseln erntet, mit bloßen Füßen „bricht“ und anschließend aus dem gewonnenen Fasern Hemden für die verzauberten Prinzen herstellt:

„Mit den feinen Händen griff sie hinunter in die häßlichen Nesseln; diese waren wie Feuer; große Blasen brannten sie an ihren Händen und Armen; aber gern wollte sie es leiden, konnte sie nur die lieben Brüder befreien. Sie brach jede Nessel mit ihren bloßen Füßen und flocht den grünen Flachs.“

Früher wurden Brennnesselfasern tatsächlich zur Herstellung von Kleidung benutzt, sogar Ötzi soll Brennnesselbast bei sich getragen haben. Heute gelten Horste der Urtica dioica eher als Ausweis der faulen Gärtnerin. Derzeit kann man ihnen beim Wachsen hinter der Gartenhütte geradezu zusehen: Zwei Zentimeter pro Tag müssten sie nach meiner Rechnung schaffen. Die Komposterde zu ihren Füßen dürfte sie beflügeln: Sie lieben feuchten, nährstoffreichen Boden und gelten als Stickstoffanzeiger, weswegen sie im urbanen Umfeld für Pissecken von Mensch und Tier besonders dankbar sind. Wie sich Brennnesselkontakte anfühlen weiß ja jeder – über ihre spezielles Biowaffenarsenal schrieb ich bereits an anderer Stelle.

Urtica dioica ist zweihäusig – es gibt also weibliche und männliche Pflanzen. Die Früchte der weiblichen Pflanzen hängen traubenartig hinab. Dies ist eine männliche Pflanze.

Wer wohnt schon gern auf Brennesseln?

Es gibt trotzdem ausgewiesene Brennnesselfans: Als Kinderstube bietet sie den Raupen unserer schönsten Tagfalter Schutz und Nahrung- nach dem Motto „ein feste Burg ist unsre Brennnessel“. Neben den inzwischen bekannten Urtica-Addicts Kleiner Fuchs (Aglais urticae), Tagpfauenauge (Aglais io), Admiral (Vanessa atalanta) und Distelfalter (Vanessa cardui) habe ich noch andere Brennnesselfans gefunden, die teilweise ebenso monophag fressen – also ganz von der Existenz ungepflegter Brennnesselecken abhängig sind. Einige tragen ihre Nahrungspräferenz sogar im Namen:

Kleiner Fuchs, vielleicht bei der Eiablage.
Dies könnten entsprechend die Raupen sein, aber hier sind sie noch recht klein.
Die Raupen des Tagpfauenauges sind schon etwas größer.
Und eine Raupe des C-Falters wohnt auch hinter der Gartenhütte auf Brennnessel. Sie ist aber nicht auf Brennesseln angewiesen und hat ein breiteres Nahrungspektrum. Das Landkärtchen (Araschnia levana) (unten) dagegen legt seine Eier in Form kleiner Türmchen an die Unterseite von Brennesseln, wo man sie bei einem flüchtigen Blick für Samenstände halten könnte.
Landkärtchen (Araschnia levana)

Brennnessel-Fans, die ihre Liebe im Namen tragen

Die Raupen der der NesselSchnabeleule (Hypena proboscidalis) dagegen fressen ausschließlich Brennesseln.
Der Brennnesselzünsler (Anania hortulata) ist auch nicht sehr wählerisch, trägt seine Vorliebe aber schon im Namen.
Nicht zu verwechseln mit dem Nesselzünsler (Patania ruralis), auch schon an meinen Brennesseln gesichtet. (Aber das Foto ist schöner)

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Der Dunkle-Brennesselwickler (Celypha lacunana) ist polyphag.

Brennnesselwanzen (Heterogaster urticae) saugen nur an den Brennnesselsamen, daher werden die Eier bei der großen Brennnessel nur an weiblichen Pflanzen abgelegt. Dort paaren sich hier auch gerade zwei.
Die Gepunktete Nesselwanze (Liocoris tripustulatus) ernährt sich ausschließlich von Brennnesselsaft.

Andere Tiere nutzen den Schutz des Brennnesselwaldes als Kinderstube: Hier betasten sich zwei gut getarnte Nymphen der Punktierten Zartschrecke (Leptophyes punctatissima).

Keine Hexerei gebietet mir ungeschützt mit Brennnesseln zu verkehren. Dicke Handschuhe und ein Nudelholz zum Brechen der Brennhaare machen die Ernte zu einem Kinderspiel- und die zahlreichen „Wildkräuterexperten“ im Internet schwärmen geradezu von den gesunden Inhaltsstoffen und dem feinen Geschmack junger Brennnesselblätter – 2022 war sie „Heilpflanze des Jahres“. Ich hab also das einfachste aller Rezepte ausprobiert und Brennnesselpesto gemacht. Das Ergebnis war – okay… Bärlauch (ebenfalls gerade pflückreif) und Basilikum im Sommer ergeben meiner bescheidenen Ansicht nach ein ungleich besseres Ergebnis. Ich werde die Ernte daher lieber wieder der Armee sechsbeiniger Brennnesselfans überlassen.

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